Interviews

Im Gespräch mit: Martha Wells

Martha Wells ist dem deutschsprachigen Leser zunächst durch ihren Roman „Necromancer“ (dt. bei Heyne) ein Begriff, der wie ihre bei uns bislang noch nicht veröffentliche Trilogie „Fall of Ile-Rien“ im Land Ile-Rien spielt. Daneben hat sie insbesondere mit der bislang fünfbändigen Fantasy Reihe „The Books of Raksura“ sowie zwei damit zusammenhängenden Kurzgeschichten-Sammlungen auf sich aufmerksam gemacht. Neben Medien-Tie-ins zu „Stargate“ und „Star Wars“ wurde sie insbesondere für ihre „Killerbot“-Titel - bislang zwei Bücher bei Heyne - berühmt. Mit den im ersten deutschen Band zusammengefassten Novellen räumte sie so gut wie alle renommierten Preise ab. Grund genug für unseren Mitarbeiter Carsten Kuhr, das Gespräch mit der Autorin zu suchen.

 

Hallo Martha, für die sicherlich wenigen Leser, die Deine Killerbot-Geschichten noch nicht kennen: Wie würdest Du selbst diese beschreiben?

Hallo zusammen. Nun, in der zugrundeliegenden Geschichte geht es um eine Person, die teilweise eine Maschine, teilweise ein Mensch ist. Großkonzerne stellen diese Bots her und vermieten sie für gutes Geld als Leibwächter, als Frachtarbeiter - eben alles, was ein Mensch nicht oder schlechter machen kann. Sie sind rein rechtlich Sachanlagen, Dinge ohne Rechte. Ihnen wurde einprogrammiert, sich nicht weiter als 100 Meter von ihren Schutzbefohlenen zu entfernen, ihr Modul überwacht diese Vorgaben und kann sie bei Verstößen gegen ihre Aufgaben umbringen. Im Grunde genommen sind die Bots die Sklaven der Zukunft. Sie sind zwar keine Menschen, letztlich aber doch menschlich. Im Zentrum der Geschichten steht die SecUnit (Security Unit) Killerbot dem es gelungen ist, seine Programmierung zu hacken und nicht länger sklavisch an die Vorgaben gebunden ist. So richtig weiß er mit seiner neuen Freiheit nichts anzufangen. Er hat Megabite an Unterhaltungsserien und Feeds heruntergeladen und schaut sich diese mit großer Begeisterung an. Daneben versucht er seinen Kopf unten zu halten, nicht aufzufallen und seinen Job zu erledigen. Das geht gleich in der ersten Geschichte so richtig schief, als unser Killerbot gezwungen ist, um seinen Schutzbefohlenen zu retten, sein Geheimnis zu offenbaren.

Ich habe meine Handlung in einer fernen Zukunft angesiedelt, in der die Menschen ihre Heimat, die Erde fast vergessen haben. Das All wird von den großen Konzernen verwaltet, denen ganze Planetensysteme gehören und die die dort lebenden Menschen als produktive Masse betrachten. Freiheit, Selbstbestimmung, Demokratie sind unbekannt, es zählt die Macht derer, die das Sagen haben - und dies sind eben die Konzerne. Einzig alles Künstlerische, alles Kreative, natürlich auch Erfindungen sind noch in der Hand der Menschen. Für den Rest gibt es in erster Linie die Bots - billiger, problemlos ersetzbar und abzuschreiben; was will man als Unternehmer mehr?

Hast Du hier aktuelle Entwicklungen als Vorbild für diese Zustände genutzt?

Ja genau. Die Entwicklung weltweit ist nicht eben dazu angetan, mich hier zu beruhigen. Die Gewerkschaften verlieren immer mehr an Macht, können ihre Arbeiter und Angestellten kaum mehr vor der Willkür der großen Firmen schützen. Letztere haben, mit der Drohung wegfallender Arbeitsplätze in der Rückhand, ein Totschlagargument das immer zieht und ihnen immer größeren Einfluss einräumt.

In meinen Geschichten begegnen uns Lohnsklaven ohne eigene Rechte gegenüber ihrem Arbeitgeber, der sie mit allem Lebensnotwendigem versorgt - schaut man doch nur mal nach Südamerika oder Südostasien, da finden wir dies heute schon so vor. Die Arbeiter werden nicht in Geld bezahlt sondern in Gutscheinen, die sie natürlich nur in den überteuerten Shops der Firma einlösen können. In meiner Zukunft gibt es zwar auch noch selbstständige Angestellte, die ihre Verträge frei aushandeln, aber auch wenig Schutz genießen. Nur es gibt eben auch diejenigen, die sich den Konzernen mit Haut und Haaren verschreiben mussten - aus schierer materieller Not, und die wie Sklaven ausgenutzt, ge- und missbraucht werden. Ich wollte diese Sichtweise, diese Kritik ganz bewusst in die Handlung mit einbauen, eben weil gegenwärtig Bestrebungen weltweit in Gange sind, entsprechend vorzugehen.

Wie kamst Du überhaupt zum Schreiben?

Wie so viele meiner Kolleginnen und Kollegen war ich als Kind eine begeisterte Leserin. Die öffentliche Bibliothek war ein Schlaraffenland und dort stieß ich dann schon in jungen Jahren auf SF und Fantasy. Eigentlich war ich noch zu jung, um all das was da thematisiert wurde wirklich zu verstehen, aber einmal infiziert blieb ich dem Genre treu. Und ich merkte, dass man seinen Lebensunterhalt mit dem Verfassen von Geschichten verdienen konnte. Damals wusste ich nur nicht, wie schwer das für die allermeisten Autoren, abgesehen von ganz wenigen Bestsellerverfassern ist. Ich schrieb dann während meiner Studienzeit für Fanzines, bevor ich meinen ersten Roman an TOR verkaufen konnte.

Wer hat Dich damals wie heute Inspiriert?

Oh, das waren Viele. Andre Norton, Tanith Lee, Phyllis Ann Karr, Barbara Hambly und so viele mehr. Alles, was in mir drin Bilder zum Leben erweckt, meine Phantasie beflügelt inspiriert mich. Ich liebe es, fremde Welten zu erforschen. Andre Norton war da vermutlich meine erste Inspiration. Ihre Romane beginnen immer in merkwürdig fremden Gebieten in denen sie uns Charaktere vorstellt, die dann in noch fremdere Welten aufbrechen - fremde Planeten oder Fantasy-Gegenden, die in wenig anders sind als gewohnt.

Du hast Dich in Deiner Karriere in so einigen Feldern getummelt („Star Wars“, „Stargate“, „Magic: The Gathering“, dann Fantasy und SF), was hat Dich am Meisten gereizt?

Ich war von frühester Jugend an glühender „Star Wars“- und „Stargate“-Fan. Ich hatte damals angefangen Fanfiction für und zu beiden Serien zu schreiben, später hatte ich dann die Gelegenheit, ins Team zu „Magic: The Gathering“ einzusteigen. Das Besondere, wenn man an solch eingeführten Reihen mitschreibt ist immer, die Charaktere und den jeweiligen Ton zu treffen. Anscheinend habe ich dies ganz gut hinbekommen.

Wie sieht das bei Dir aus - planst Du Deinen Plot dezidiert voraus, erstellst Du ein minutiöses Exposé oder lässt Du Dich von Deiner Muse leiten?

Ich plane nur sehr rudimentär voraus. Ich versuche einfach, jeden Tag vor die Tastatur zu sitzen und etwas zu Papier zu bringen. Manches Mal läuft es gut, dann wieder gibt es Tage, da geht wenig zusammen - wie eben immer im Leben. Das Überarbeiten ist dann recht unterschiedlich. Ich hatte Texte, da habe ich beim Durchsehen wenig gefunden, das ich hätte ausbessern müssen, dann wieder Geschichten, die ich immer wieder glatt ziehen, umschreiben und neu verfassen musste.

Gab es bei Dir so etwas wie einen Karriereknick, oder startete Deine Karriere seit dem Verkauf des ersten Romans („The Element of Fire“, 1993) an TOR problemlos durch?

„The Element of Fire“ verkaufte ich mit 27. Davor aber hatte ich mich bereits seit sieben Jahren vergeblich bemüht, meine Kurzgeschichten an den Mann, sprich Verlag zu bringen. Dann, nach meinem neunten Buch, kam die Karriere 2008 ganz zum Stillstand. Scheinbar wollte kein Verlag mehr ein Buch von mir ankaufen. Es folgten zwei Jahre voller Selbstzweifel und Versuche, doch noch wieder durchzustarten. Erst mit einem neuen Agenten kam 2010 die Wende, als dieser meine ersten beiden „Raksura“-Romane bei einem Verlag unterbrachte. Ich war kurz davor gewesen, aufzugeben. Selbst nach dem Erfolg mit den „Raksura“-Romanen war es nicht wirklich leicht als ältere Frau - so sahen mich die Verlagsverantwortlichen - im Business zu bleiben.

Schreibst Du lieber Romane oder bevorzugst Du die kurzen Texte?

Ich bin ganz eindeutig ein Roman-Typ. Bis ich mein zweites Buch verkauft hatte, hatte ich nie auch nur eine Kurzgeschichte verkaufen können. Ich brauche für Storys fast ebenso lange wie für Novellen oder kurze Romane - und bei diesen habe ich dann viel mehr Platz für meine Handlung. Ich hatte meine erste Killerbot-Geschichte eigentlich als traurige Kurzgeschichte konzipiert. Dann hat sich die Handlung ein wenig verselbstständigt, so dass ich mich dazu entschied, den Text doch auf Novellenlänge auszuweiten. Eigentlich dachte ich, dass das der einzige Besuch in diesem Universum und bei Killerbot wäre, dann fragte TOR nach dem Ankauf an, ob ich nicht zwei weitere Novellen schreiben könnte - aus einer einzelnen Kurzgeschichte wurde so ein Zyklus, der den Lesern scheinbar gefällt.

Gab es eine bestimmte Inspiration für Killerbot?

Nein eigentlich nicht. 2016 war ich mit der politischen Situation in unserem Land sehr unzufrieden,. Ein gehöriges Maß dieses Ärgers floss dann in die Killerbot-Geschichte mit ein. Ich benutzte meine eigenen Erfahrungen mit Depressionen, mit Panikattacken, Existenzangst und kombinierte sie mit dem, was ich speziell zum Thema Arifical Intelligenz (AI) gelesen hatte. AIs, die menschlich sein wollten, AIs die sich in Menschen verliebten fand ich, doch wo waren die Geschichten über AIs, die nicht menschlich sein wollten? Was wollte solch eine AI wirklich vom Leben?

Du hast mit Killerbot auf eine literarisch Tradition aufgesetzt. Von Frankenstein bis Data reichen die Beispiele - warum ist das ein für Autoren wie Leser so interessantes Thema?

Eine wirklich schwierige Frage; ich denke, interessant ist es sich zu überlegen, wie eine AI denkt, fühlt wenn sie einen Körper besitzt - sei es ein Raumschiff oder einen humanoiden Körper. Würde sie wie ihre Erschaffer sein wollen - oder, wie Killerbot, würde sie zufrieden in sich selbst ruhen, Beziehungen zu anderen AIs anstreben und eben einmal nicht dem Schöpfer nacheifern wollen?

Aus den Texten geht nicht klar hervor, ob Du Killerbot als weiblich oder männlich ansiehst - oder vielleicht gar als…?

Killerbot bezeichnet sich selbst immer als ES - also weder weiblich noch männlich, ein Neutrum. Ich denke, dass dieses problematische Thema Gender in unserer Gesellschaft immer noch viel zu wenig Beachtung findet. Ich habe versucht dieses Thema ein wenig unterschwellig mit einfließen zu lassen um meine Leser dazu zu animieren, sich damit zu beschäftigen.

2017 hast Du die Gastrede bei der Verleihung des World Fantasy Awards gehalten - und Einiges an Aufmerksamkeit geweckt. Es ging um vergessene Autorinnen in der SF/Fantasy.

Ja, wir wissen zum Beispiel heute kaum, dass gut ein Dutzend Frauen als Verfasserinnen an „Weird Tales“ mitgearbeitet haben. Inzwischen sind Frauen aus den Buchhandlungen nicht mehr wegzudenken. Ich möchte fast behaupten, dass die interessantesten neuen Bücher in unserem Bereich von Frauen verfasst werden - Frauen, die aus unterschiedlichsten Ethnien kommen, Frauen, die etwas zu sagen haben und die uns ganz neue Bereiche in der SF/Fantasy erschließen. Tolle Autorinnen wie R. F. Kuang, Jeannette Ng, N. K. Jemisin etc. pp, die unser Genre so sehr bereichern.

Nun hast Du inzwischen einige Bücher veröffentlicht, giltst als erfolgreiche etablierte Autorin. Hat sich die Art und Weise, wie Du an ein neues Buch herangehst durch Deine Erfahrungen geändert?

Oh ja, sogar ganz massiv. Ich bin mittlerweile viel sicherer und ich denke auch, dass ich besser darin geworden bin ganz unterschiedliche Geschichten und Settings zu nutzen. Dabei versuche ich natürlich immer noch besser zu werden, schaue was ich verbessern könnte um die Lektüre interessanter zu gestalten. Ich war nie ein Schnellschreiber, habe immer Zeit für meine Bücher und für mich gebraucht. Das ist auch heute noch so, wobei ich über die Behandlung meiner Depression gelernt habe, ganz bewusst zu entspannen, mich auf wichtige Sachen zu konzentrieren. Dies hilft mir dann enorm konzentriert bei meinem aktuellen Projekt zu bleiben.

Was bedeutet das Schreiben für Dich - Beruf oder Berufung?

In erster Linie ist es Berufung - es macht mir schlich Spaß, erfüllt mich mir Geschichten einfallen zu lassen. Mittlerweile kann ich ein ganz klein wenig stolz auf 28 Jahre zurückschauen, in denen meine Geschichten veröffentlicht werden, auch wenn ich lange Jahre nicht sonderlich erfolgreich war. Ich stand ein paar Mal vor einem Scherbenhaufen, habe mir überlegt aufzuhören mit dem Schreiben und dann doch immer wieder weiter gemacht.

Mein Ziel war und ist es meine Leserinnen und Leser eine Möglichkeit zu geben, aus ihrem Alltag zu entfliehen, wie ich sie in meiner Jugend in den Büchern von Andre Norton und anderen fand.

Vielen herzlichen Dank, dass Du uns Rede und Antwort gestanden hast. Wir wünschen Dir für die Zukunft alles Gute - bleib gesund!