Jörg Kleudgen: Eifler Schlachtplatte (Buch)

Jörg Kleudgen
Eifler Schlachtplatte
Murder Press, 2012, Taschenbuch, 86 Seiten, 12,00 EUR

Rezension von Elmar Huber

„Ich wusste, dass es geschehen würde, lange bevor mich die Mitteilung erreichte. Wie jedes Mal seit nunmehr zehn Jahren, dieselbe Zeit, derselbe Ort. Nur ich war nicht mehr derselbe, jedenfalls redete ich mir das ein. In Wirklichkeit wusste ich, dass ich mich meiner Schuld niemals würde entledigen können. Nicht in tausend Jahren." („Nachrichten aus dem Niemandsland“)

„Ihr kriegt mich nicht hier raus“:
Seit seiner Frühpensionierung (aus gesundheitlichen Gründen) vor 36 Jahren lebt Josef Klaasen allein und unabhängig von Energie und nahezu autonom in seinem Haus. Weder den Leuten von der RWE noch vom Sozialamt öffnet er die Tür. Und gelangt doch einmal einer in sein Haus, dann garantiert nicht wieder hinaus.

„Verabredung um vier“:
Horst hat die verwitwete Ariane über eine Online-Partnervermittlung kennengelernt. Das Portal hat sich für den Büchersammler als hervorragende Informationsquelle erwiesen. Zum Beispiel hat er sehr schnell erfahren, dass Arianes verstorbener Mann der Kriminalschriftsteller Udolf Öhl war und ihr eine wertvolle Mini-Auflage seines letzten Buches hinterlassen hat.

„Ein klassischer Fall“:
Der prominente Fernsehkoch Wurzwieler wird tot auf einem Feldweg aufgefunden. Ein klassischer Fall von Selbstentzündung, so scheint es. Doch Kommissar Holtenkötter gelangt zu einem anderen Schluss, als er sich die Pflanzen in der Nähe des Tatorts ansieht.

„Nachrichten aus dem Niemandsland“:
Jahr für Jahr erhält der Mörder eine SMS, automatisch gesendet vom Handy seines Opfers, das in dem Schacht verwest, in den er die Leiche nach der Tat geworfen hatte. Wie das möglich ist, weiß er nicht, doch er weiß, dass diese beharrliche Erinnerung an seine Tat erst endet, wenn er seinem Opfer einen letzten Besuch abstattet.

„Tante Marianne“:
Immer schon hat „Tante“ Marianne Matthias bevormundet, hat ihm verboten, mit seinen Kameraden zu spielen und schließlich, als er sie nicht mehr besuchen sollte, seine Eltern getötet. Davon ist Matthias überzeugt. Selbst sein Studium verhinderte sie und drängte ihn stattdessen zu einer Metzgerlehre, die ihm nun, da er sich endlich an ihr gerächt hat, zugutekommt.

„Spanische Nächte“ (mit Uwe Voehl):
Wenig begeistert muss der Haushaltswarenvertreter Ulf Kröger die Verkaufsveranstaltung seines Kollegen im abgelegenen Binscheid übernehmen. Der Veranstaltungsort sieht jedoch ganz vielversprechend aus, und auch die ungewöhnlich hohe Anzahl Besucherinnen weckt in Krüger die Hoffnung auf ein gutes Geschäft. Doch die Produktpalette dieses Abends ist ihm völlig unbekannt.

„Grenzmarkt“:
Um in letzter Minute vor dem Fest des Heiligen Abend Spargel zu besorgen, überwindet sich Petunia noch einmal zur Fahrt in den Grenzmarkt, wo sie einige seltsame Begegnungen hat.

„Krampus“:
Statt des bestellten Weihnachtsmannes steht plötzlich Nikolaus‘ Begleiter Krampus, ein zotteliges, stinkendes und mit Ketten behangenes Vieh, vor der Haustür.

„Es ist angerichtet“:
Der zwielichtige Geschäftsmann Greuel wurde tot in dem angesagten Japan-Restaurant Tokyo aufgefunden. Während das Kriminallabor eine natürliche Todesursache in Betracht zieht, kommt Kommissar Holtenkötter die Erleuchtung während einer Kochsendung.

„Schön, dich zu sehen“:
Als er das kleine, verwinkelte Häuschen entdeckte, das zum Verkauf steht, ist es Liebe auf den ersten Blick. Doch als die Leute ihn ob seiner neuen Behausung meiden, plötzlich fremde Besucher an der Haustür klingeln und die Belästigung durch Katzen immer schlimmer wird, kommen dem frischgebackenen Hausbesitzer Zweifel an seiner Entscheidung.

„Horst Holtenkötter betrachtete die mit Blut verschmierten Wände und fühlte sich spontan an die Tate-LaBianca-Morde aus dem Jahre 1969 erinnert. Die Spur der Verwüstung zog sich durch das gesamte Erdgeschoss. Umgeworfene Lampen und Stühle, ein völlig ruinierter Perserteppich, die Schubladen der Anrichte herausgerissen, vermutlich von der Wucht des Aufpralls." („Es ist angerichtet“)


Jörg Kleudgen, bekannter Vertreter surrealer und traumhafter Phantastik und darüberhinaus Herausgeber der Goblin Press, hat seine Lust an Kriminal-Erzählungen entdeckt. Diese - teils aufgrund konkreter Ausschreibungen und Anthologie-Anfragen entstandenen Geschichten - hat er zur Veröffentlichung seinem Freund und Kollegen Uwe Voehl für dessen Murder Press, dem Krimi-Pendant der Goblin Press, nun zur Veröffentlichung überlassen. Die Bände beider Editionen werden in Handarbeit gefertigt und sind als Privatdrucke ohne ISBN einem eingeweihten Leserkreis vorbehalten. Für die Herstellung und Cover-Gestaltung beider Editionen zeichnet ebenfalls Jörg Kleudgen verantwortlich.

Bei Jörg Kleudgens Kriminal-Erzählungen sollte man keine ausgefeilten Detektiv-Plots erwarten, keine locked room mysteries oder als Suizide getarnte Morde. Tatsächlich bringen lediglich die beiden Fälle von Kommissar Holtenkötter leichtes Detektiv-Flair in die Sammlung („Ein klassischer Fall“, „Es ist angerichtet“). Als wesentlich eindringlicher gestalten sich die kleinen, andeutungsvollen Dramen über Menschen, die mit dem Rücken zur Wand stehen und in ihrer Verlassenheit keinen anderen Ausweg sehen, als straffällig zu werden („Ihr kriegt mich nicht hier raus“, „Tante Marianne“). Schon hier passt der klassische ‚Krimi-Stempel‘ nur noch bedingt. Jörg Kleudgen sagt selbst: „Ich fühle mich im Krimi-Genre nicht direkt zu Hause, muss aber gestehen, dass mir das Schreiben „leichterer“ Geschichten mit manchmal recht skurrilen Charakteren Spaß gemacht hat.“

Es verwundert also nicht, dass sich in die weiteren Geschichten schnell skurrile und phantastische Töne einschleichen und einige sogar komplett ohne ein Krimi-Element auskommen. So kann man die Erzählung „Grenzmarkt“ guten Gewissens als Variante von „Karneval der toten Seelen“ (respektive Ambroce Bierce‘ Vorlage „Ein Zwischenfall an der Owl Creek Brücke“) bezeichnen. Auch „Schön dich zu sehen“ hat einige Vorbilder unter den phantastischen Klassikern (wie zum Beispiel H. P. Lovecrafts „Der Fall Charles Dexter Ward“), und bei der Lektüre von „Spanische Nächte“ hat man unbewusst die Hexenversammlung aus der Roald-Dahl-Verfilmung „Hexen hexen“ vor Augen. Freilich ist dabei keine der Geschichten eine bloße Kopie ihrer Vorbilder.

Zu einigen Beiträgen der „Eifler Schlachtplatte“ lieferte eine gemeinsame Eifel-Lesereise von Jörg Kleudgen und Uwe Voehl (eine Hommage erfährt dieser hier als Udolf Öhl in „Verabredung um vier“) die Inspiration, sodass man die Sammlung bedenkenlos als Gemeinschaftsarbeit bezeichnen kann.

Schließlich steuert Uwe Voehl noch das Nachwort bei, das über die nämliche Lesereise sowie über weitere Pläne der beiden ‚kriminellen‘ Phantasten berichtet.

Formal beweist Jörg Kleudgen mit diesen Kriminal- und Phantastik-Geschichten, dass er sich endgültig zu einem souveränen Autor entwickelt hat, der (zumindest hier) das oft verschwommene Pathos seiner Anfangstage gegen einen flüssigen und Plot konzentrierten Stil getauscht hat und der auch vor dem schmalen Grat des skurrilen Humors nicht mehr zurückschreckt.

Bei dem Umschlag handelt es sich übrigens um ein ‚Wendcover‘, das auf der Innenseite noch ein weiteres Motiv und den alternativen Titel „Gemischte Schlachtplatte“ bietet.