Kai Meyer: Arkadien brennt – Arkadien Trilogie 2 (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Freitag, 15. Oktober 2010 15:55
Kai Meyer
Arkadien brennt
Arkadien Trilogie 2
Titelillustration von iStockphoto.com
Carlsen, 2010, Hardcover, 400 Seiten, 19,90 EUR, ISBN 978-3-551-58202-7
Von Carsten Kuhr
Willkommen zurück zur magisch-phantastischen Liebesgeschichte aus der Werkstatt Kai Meyers. Die Bühne ist bekannt. Neben dem winterlich-kalten New York spielt die Handlung um die gestaltwechselnden Arkadier auf Sizilien.
Sizilien, das steht für eine malerische Insel mit bizarren Felsformationen zwischen Italien und Afrika. Sizilien, das bedeutet verarmte, oftmals verhärmte Menschen, die mit Müh’ und Not dem kargen Land etwas zu Essen abringen. Zitronen wachsen hier, Windmühlen an der Küste sollen einmal Strom erzeugen und das organisierte Verbrechen ist hier zu Hause. Die Cosa Nostra, die Familienclans, die sich in den vergangenen Jahrzehnten über die ganze Welt ausgebreitet haben, die ihre Finger in allem Verbotenen, von Menschenhandel bis Drogenschmuggel und Waffenschiebereien haben, beherrschen mit Angst und Terror das Land. Das Gesetz des Schweigens wird nach wie vor befolgt, auch wenn der Capo dei Capi, der Hungrige Mann, seit Jahrzehnten im Gefängnis sitzt. Auf dieser Bühne begleiten wir zwei junge Menschen, die zusammen nicht kommen sollen und dürfen, deren Liebe aber alle Abgründe und Grenzen überbrückt.
Rosa Alcantara wuchs in ärmlichen Verhältnissen in Brooklyn auf. Dass ihr Vater einst ranghohes Mitglied der sizilianischen Mafia war, verdankte sie regelmäßige Vernehmungen bei der Polizei, vom Reichtum der Familie war weit und breit nichts zu erblicken. Als sie, nach einer Vergewaltigung und anschließender Abtreibung, zu ihrer Schwester nach Sizilien reist, kommt sie das erste Mal mit ihrem Erbe in Kontakt. Nicht nur, dass sie die Geschäfte des Clans übernehmen soll, auch wenn sie mehr Galionsfigur als wirkliche Entscheidungsträgerin des unlauteren Familienunternehmens sein soll, sie erfährt auch vom gestaltwandelnden Erbe der Arkadier. Und sie lernt Alessandro Carnevare, den Erben eines verfeindeten Clans, kennen und lieben. Gemeinsam schicken sie sich an, die Geheimnisse um die Arkadier zu lüften und verkarstete Strukturen der verfeindeten Familienclans aufzubrechen. Aber zunächst stellt sich ihr die Frage, ob sie überhaupt die Leitung der Familiengeschäfte übernehmen will, und wem nur sie trauen kann. Scheinbar verfolgen alle um sie herum ihre ganz eigenen Pläne, in denen sie, als hilflos naive Außenseiterin, allenfalls eine Opferrolle einnimmt.
Im Verlauf der Handlung stoßen beide auf immer neue Geheimnisse und Erkenntnisse. Wer nur versucht die Carnevares allesamt umzubringen, wer steckt hinter der Vergewaltigung Rosas und wie passt ihr vermeintlich toter Vater ins Bild? Ist dieser gar Mitglied der mysteriösen TABULA, einer Geheimgesellschaft moderner Alchemisten, die an gefangenen Arkadiern forschen? Immer tiefer tauchen sie in ein dichtes Geflecht von Geheimnissen ein, die tief in der Vergangenheit wurzeln....
Kai Meyer war eines nie: ein Autor, der sich auf seinen Lorbeeren ausruht, der mit dem Erreichten zufrieden ist. So legte er, gleich ob bei seinen Werken für ein jugendliches Publikum oder den Romanen, die sich eher an ältere Leser richten, immer wieder großen Wert darauf, eine neue Geschichte zu präsentieren, sich Freiräume zu suchen, zu schaffen und diese mit seiner ganz eigenen Phantasie auszufüllen. Folgerichtig ging er inhaltlich wie verlegerisch seinen Weg, glänzte ein ums andere Mal mit so noch nicht gelesenen Plots und Ausgangssituationen und verzückte seine Fangemeinde mit stilistisch herausragenden Formulierungen. Dies ist vorliegend nicht anders! Auch wenn Mancher ihm vorwirft, nur eine moderne, phantastisch angereicherte Version von Shakespeares „Romeo und Julia“ oder dessen modernere Variante der „West Side Story“ in größerem Rahmen vorzulegen, so irren hier meines Erachtens die Kritiker. Sicherlich berichtet auch Meyer von zwei verfeindeten Familien und einer Liebe zweier junger Menschen, die zueinander nicht finden dürfen, so zumindest die Meinung ihrer Verwandten. Aber geht es nicht in fast jedem großen literarischen Werk um Liebe und Verrat, um Selbstbestimmung und um den Versuch, die elterlichen Fesseln abzustreifen und für sein Leben selbst Verantwortung zu übernehmen?
Kai Meyer peppt dies, der saloppe Ausdruck sei mir verziehen, mit einer packenden Geschichte auf. Nein, eigentlich sind es gleich mehrere Plots, die parallel zu der anrührenden Story um Liebe und Vertrauen laufen. Es geht natürlich um die verfeindeten Mafia-Clans, es geht um Geheimgesellschafter, die Erben der Arkadier, deren Herkunft und Geheimnisse. Diese Geheimnisse, ihre Auslösung, die Kämpfe, sind wichtige Bestandteile des Buches, aber nicht das Wichtigste am Werk. Im Mittelpunkt stehen die beiden Hauptfiguren, die von einer ganzen Anzahl markanter Charaktere umgeben sind. Jeder der Menschen hat sein Schicksal, das ihn zu dem gemacht hat, was er ist. Die Kunst des Kai Meyer besteht darin, uns deren Geschick anschaulich- aber nie sentimental –, dabei immer einfühlsam (aber nie übertrieben oder anbiedernd) zu präsentieren. Hier tauchen auf einigen wenigen Seiten Personen auf, die voll sind von Entscheidungen, richtigen wie falschen, von Zwängen, wahren oder empfundenen, und von bitterer Reue um vergebene Chancen. Das ist, gerade weil der Autor die Balance zwischen Anteilnahme und Distanz wahrt, ergreifend, ist schön und schaurig zugleich und dazu noch unheimlich spannend und faszinierend.
Natürlich will ich wissen was hinter König Lykaon und seinen Nachfahren steckt, was die TABULA will, wie der Krieg der Cosa Nostra ausgeht. Mehr noch aber interessiert mich, was aus „meinen“ Figuren wird. Und hier harre ich voller Ungeduld dem abschließenden dritten Teil.