Spezial

Können Große von Kleinen lernen - und umgekehrt? Was sagt der Steampunk?

Unser Mitarbeiter Carsten Kuhr hat die Herausgeber der wichtigsten deutschsprachigen Reihen im phantastischen Bereich zwei Fragen gestellt:

Frage 1: Der phantastische Buchmarkt hat sich in den letzten Jahren geändert. Die neuen technischen Möglichkeiten haben dazu geführt, dass viele kleine Verlage teilweise in beachtlicher Qualität Serien, Originalromane, Anthologien und Übersetzungen publizieren. Was können die etablierten großen Verlage von den kleinen Verlagen lernen, was müssen die Kleinverlage von den Publikumsverlagen abschauen?

Frage 2: Steampunk galt vor ein paar Jahren als nächstes großes Ding. Mittlerweile sind wir schlauer - die von den Verlagen gestarteten entsprechenden Serien werden mangels Publikumszuspruchs nicht fortgesetzt. Woran liegt es, dass die teutonische Lesegemeinde dem phantastischen Dampf und Aether so wenig abgewinnen kann?

Hier sind die Antworten.

 
Holger Kappel, Blanvalet:

Zu Frage 1: Ich finde, man kann beide Geschäftsmodelle nur bedingt vergleichen. Die aus meiner Sicht größten Unterschiede kann man nicht lernen. Kleine Verlage sind möglicherweise flexibler als große. Aber sollte ein Kleinverlag wachsen, wird sich das auch ändern. Ich glaube auch nicht, dass große Verlage mutiger sein sollten bei den Titeln, die sie veröffentlichen. Sie sind nämlich durchaus mutig, auch wenn das möglicherweise durch die höhere Titelzahl weniger auffällt. Kleinverlage benötigen normalerweise viel geringere Verkaufszahlen, um einen Titel als Erfolg zu bewerten. Daher können sie auch Titel mit einer zu erwartenden geringeren Leserschaft veröffentlichen. Sie sind also vielleicht mit einem Titel genauso erfolgreich, wie es ein Großverlag wäre, dennoch wäre es für den einen ein toller Erfolg, für den anderen ein böser Misserfolg. Im Gegenzug ist ein Flop für einen Kleinverlag möglicherweise vernichtend, während ein großer Verlag den Verlust durch andere erfolgreichere Titel leichter ausgleichen kann.
Kleinverleger sollten sich meiner Meinung nach gut überlegen, ob sie überhaupt wachsen wollen. Ein Verlag wächst ja nicht mit der gleichen Titelzahl, sondern es werden im Allgemeinen mehr. Damit wird sich die Arbeit massiv verändern: viel mehr Verwaltung, viel weniger Arbeit mit dem Buch. Das muss man wollen. Denn dass dann merklich mehr Geld übrig bleibt, ist ja nicht mal gesagt. Mehr Titel bedeutet auch höhere Kosten und mehrmaliges Risiko. Groß ist, denke ich, nicht besser, nur anders.
   
Zu Frage 2: Ich habe Steampunk nie für den neuen großen Hype gehalten, was meine amerikanischen Kontakte immer etwas verwirrt hat. Aber schon damals ist mir aufgefallen, dass dieser Begriff viel von Leuten genutzt wurde, die mit Phantastischer Literatur eigentlich wenig anfangen können. Viele „Steampunk“-Titel, die angeboten wurden, waren einfach keine. Es handelte sich nur um das gerade aktuelle Etikett, das man auf möglichst alles geklebt hat.
Steampunk ist ein Misch-Genre, bei dem relativ schwer zu vermitteln ist, was es eigentlich ist. Ist ein dampfgetriebener Roboter jetzt Science Fiction? Man hat an allen Fronten also gleich Erklärungsbedarf. Das geht im Verlag los über den Buchhändler bis zum Leser. Wenn aber erst einmal lange Erklärungen nötig sind, verlieren viele schon die Geduld / das Interesse. Klare Zielgruppen machen vieles einfacher. Liest ein Steampunk-Leser sonst Fantasy, SF oder historische Romane?
Zum anderen spielen viele Steampunk-Romane - beziehungsweise die Romane mit dem entsprechenden Etikett - in einer viktorianisch anmutenden Welt. Und solche Weltentwürfe haben es in Deutschland schon immer eher schwer. Auch bei historischen Romanen ist das oft nicht das perfekte historische Setting für einen erfolgreichen Roman.


Natalja Schmidt, Droemer Knaur:

Zu Frage 1: Kleinverlage haben oft ein tolles Händchen für unkonventionelle Stoffe und unverbrauchte Ideen. Auch Stoffe, die mitunter Genre-Grenzen sprengen, oder von der Ausstattung her nicht in die Programme der Großverlage passen, können bei flexiblen Kleinverlagen ein gutes Zuhause finden.
Den Mut, Neues zu probieren können sich die Großverlage sicher manchmal von den kleineren Kollegen abschauen, sowohl, was Inhalte, aber auch, was die Gestaltung und die direkte Ansprache der Leser betrifft.
Publikumsverlage können dafür auf größere Ressourcen und gewachsene Strukturen in Werbung und Vertrieb zurückgreifen. Sie haben oft eher die Möglichkeit, Autoren aufzubauen und besonders vielversprechende Bücher mit gezieltem Marketing und Presse zu unterstützen.
Gerade, was den Handel angeht, ist es für Kleinverlage sicher manchmal nicht leicht, wirklich einzuschätzen, wieviele Leser sie wo und wie erreichen können. Die optimale Nutzung von neuen und alten Vertriebskanälen ist wohl eine der größten Herausforderungen für kleinere Häuser.

Zu Frage 2: Das ist eine sehr gute Frage, deren Antwort ich nur allzu gerne selbst kennen würde.
Meine Vermutung geht dahin, dass Steampunk hierzulande zwar viele treue und kreative Fans hat (die ja auch zum Beispiel auf Conventions sehr präsent sind), aber eben nicht so viele, dass einzelne Bücher genug Aufmerksamkeit bekommen. Und im Mainstream ist Steampunk in Deutschland leider nie richtig angekommen - das müsste aber so sein, damit zumindest mal ein Roman so erfolgreich wird, dass er einen Trend auslösen könnte.
Steampunk ist aber ein gutes Beispiel dafür, wie kleinere Verlage erfolgreich Nischen besetzen können, und so dafür sorgen, dass die phantastische Bücherlandschaft vielfältig bleibt, und auch ganz unterschiedliche Leserinnen und Leser Bücher für ihre jeweiligen Interessen finden.


Sascha Mamczak, Heyne Verlag:

Zu Frage 1: Kleinere, nicht konzerngebundene Verlage können mutiger sein - damit meine ich aber dezidiert nicht inhaltlich mutiger; auch große Verlage können inhaltlich experimentieren und tun es auch und fallen damit nicht selten auf die Nase. Nein, ich meine damit, dass sie sich direkt an die Leserschaft wenden können - ohne die mannigfaltigen Filter aus Verlagsleitung, Vertrieb, Einkäufer etc. Das erfordert Mut, denn so hoch sind die Margen in der Branche nicht. Aber es könnte die Zukunft sein. Manche Lektoren in großen Verlagen wiederum wissen gerade wegen dieser Filter, dass sie nicht nur für sich selbst Bücher machen - und das sollten Kleinere unbedingt lernen, noch bevor sie anfangen.
 
Zu Frage 2: Hat wirklich jemand geglaubt, Steampunk sei „das nächste große Ding“? Ich kenne niemanden in der Branche, der das geglaubt hat, übrigens auch niemand in den USA und Großbritannien, wo Steampunk ein paar Leuten mehr ein Begriff ist. Denn: Für „das nächste große Ding“ muss man bei Steampunk viel zu viel abstrahieren. Das macht mitunter Spaß, aber bestimmt nicht den Millionen von Lesern, die es braucht, um einen wirklichen Trend zu etablieren. Was immer „das nächste große Ding“ sein wird: Es wird dich dort abholen, wo du stehst - und auch wieder dorthin zurückbringen.


Carsten Polzin, Piper:

Zu Frage 1: Die kleinen Verlage wagen sich mitunter auch an besondere, ausgefallene Stoffe heran, während große Publikumsverlage hauptsächlich den Mainstream im Blick haben. Es ist erfreulich, dass Kleinverlage neuen Autoren eine Chance geben und dass auch Anthologien Platz in ihren Programmen haben. Damit bereichern sie das Genre. Manchmal geht aber bei Übersetzungen und Redaktionen die Qualität etwas verloren, da reichen die Kapazitäten in vielen Kleinverlagen einfach nicht aus. Die finanziellen Möglichkeiten, auch beim Einkauf von teuren internationalen Rechten, und die starke Präsenz im Handel sind sicherlich ein großer Vorteil für die Publikumsverlage.

Zu Frage 2: Immer wieder gibt es die Hypes um die neuen großen Trends. Mal waren es Engel, dann Zombies, dann Steampunk… oft handelt es sich um nicht mehr als das Wunschdenken einiger Leser, Autoren oder Verlage. Das Problem beim Steampunk ist einerseits sicherlich das typisch britische Setting, zu dem nicht alle Leser einen Bezug herstellen können. Außerdem stehen Fans klassischer Fantasy der Verbindung von Magie und Technik oft skeptisch gegenüber. Schließlich ist es wieder einmal das Phänomen, wie unterschiedlich die Märkte in den USA, England und Deutschland doch sind, Geschmäcker sind eben verschieden, ob es uns plausibel erscheint oder nicht.