Guy Newell Boothby: Die Rache des Doctor Nikola (Buch)

Guy Newell Boothby
Die Rache des Doctor Nikola
(A Bid for Fortune or Dr. Nikola's Vendetta)
Aus dem australischen Englisch übersetzt von Michael Böhnhardt
Titelillustration von Ernst Wurdack
Wurdack, 2010, Paperback mit Klappenbroschur, 232 Seiten, 13,95 EUR, ISBN 978-3-938065-61-7

Von Carsten Kuhr

Es gab einmal eine Zeit, man mag sie mit Fug und Recht als die gute Alte bezeichnen, da war das Leben noch beschaulicher. Ehre und Höflichkeit waren nicht nur abstrakte Begriffe, sondern wurden als allgemeinverbindende Richtlinien respektiert und gelebt. Doch schon damals zog das Böse, das Verruchte und Verbrecherische die Menschen an. Schund- und Schmutzliteratur nannte man derartige Kolportageromane, die mit ihrer spannenden Handlung und insbesondere den fiesen Bösewichten die Massen an ihre auf billigem Papier gedruckten Seiten zogen.

Der mittlerweile fast vergessene australische Autor Guy Newell Boothby (1867–1905) verfasste um die Jahrhundertwende in einem Zeitraum von nur elf Jahren rund fünfzig entsprechende Romane. Wie dem sehr informativem Vorwort des Übersetzers zu entnehmen ist, gelang ihm dies nur durch die Nutzung eines Wachs-Zylinder-Phonographen, in den er seine Texte diktierte.
Inhaltlich gab er dabei seinen Lesern genau das, was sie von ihm forderten. Eine spannende Handlung voller Dramatik, ein wenig Romantik und eine Spur übernatürlicher Ereignisse.
In fünf Romanen spielt dabei der ebenso geniale wie böse Serienverbrecher Doctor Nikola eine entscheidende Rolle. Während im dritten Band, "The Lust Of Hate" betitelt, Nikola nur eine Gastrolle in einem kurzen Auftritt innehat, ranken sich die anderen Werke ganz um den intriganten Verbrecher.

Im Lauf der Jahrzehnte fanden nur die ersten beiden der "Nikola"-Romane ihren Weg in deutsche Buchhandlungen. Dies soll nun Dank Ernst Wurdack und seines Verlages anders werden. In einer sorgfältigen und werkgetreuen Übersetzung von Michael Böhmhardt und mit einem passenden, ansprechenden Cover auf dem handwerklich mustergültig gefertigten Paperback wartet eine schillernde Figur in den vier Romanen darauf, des Lesers Bekanntschaft zu machen.

Alles beginnt damit, dass vier scheinbar respektable Gentlemen sich zum Dinner in London treffen. Aus aller Herren Länder hat Doctor Nikola seine Spießgesellen zusammengerufen. Es geht ihm um nichts weniger als darum, die Eintrittskarte zur körperlichen Unsterblichkeit zu erobern.
Um sein Ziel zu erreichen, hat er sich einen ebenso perfiden wie raffinierten Plan einfallen lassen. Sein Opfer ist einer der Honoratioren aus New South Wales, der englischen Kronkolonie Australien. Der früh verwitwete Sir Weatherell bricht, begleitet von seiner bezaubernden Tochter, zu einer Reise heim ins Land des Königs auf. Schon vorher aber hat seine Tochter, sehr zum Leidwesen ihres Vaters, die Bekanntschaft des Abenteurers und Geschäftsmannes Mr. Richard Hatteras gemacht. Dass sich die beiden jungen Leute Hals über Kopf ineinander verlieben, soll sich für die Pläne des Doctor Nikola zu einer nicht zu unterschätzenden Gefahr entwickeln. Trotz des entschiedenen Widerstands von Weatherell bleiben die beiden Verliebten in Kontakt.

Während Hatteras die englische Heimat seines ertrunkenen Vaters besucht und dort die Bekanntschaft eines jungen Lords des Empires macht, ja zu dessen Freund avanciert, hat Nikola längst seine Pläne angepasst. Auf der Rückreise nach Down Under werden der Hatteras begleitende Lord und unser Abenteurer entführt und gefangengesetzt. Nach der erfolgreichen Befreiung und in die Kolonie zurückgekehrt aber müssen sie feststellen, dass ein Doppelgänger den Platz des jungen Lords eingenommen hat. Mehr noch, die Gazetten vermelden Gerüchte über die Verlobung des Lords mit einer just aus dem Königreich heimgekehrten jungen Dame aus guten Hause! Das kann Hatteras natürlich nicht auf sich sitzen lassen.
Es beginnt einer spannende Jagd auf den Meisterverbrecher, die einmal mehr beweist, mit welcher Nonchalance und Fortune, aber auch mit welch abgeklärter Intelligenz Nikolas plant und handelt.

Was ist das für eine Faszination, die von viktorianischen Gentlemen und ihren Abenteuern ausgeht? Sherlock Holmes oder Alan Quatermain weisen den Weg, Doctor Nikola und die aufrechten Gentlemen, die versuchen, sich ihm in den Weg zu stellen, beweisen es nur zu gut. Das sind aufrechte, distinguierte Herren, die wissen, was sich gehört, und die den Kampf gegen die Verbrecher aufnehmen.
Bei all der Bewunderung, die wir diesen Herren, die das Empire aufgebaut haben, aber entgegenbringen, überwiegt doch die Faszination, die von dem gewieften Gentleman-Verbrecher ausgeht. Nikola, seines Zeichens nicht nur anerkannter, hochintelligenter Wissenschaftler, sondern auch mit der übersinnlichen Gabe bedacht durch feste Materie sehen zu können, ist einer der ersten, wenn nicht der erste, Serienverbrecher der Literatur.
Doyles Professor Moriaty kam später, weist jedoch, einmal abgesehen vom übernatürlichen Aspekt, einige Gemeinsamkeiten mit unserem Schurken auf. Beide sind sie Denker und Planer, die mit Köpfchen ihre ruchlosen Taten austüfteln und ihre Bauern auf dem Schachbrett des Lebens platzieren. Dabei ist Nikola ein Gentleman der alten Schule, versucht, seine Opfer eher mittels Manipulationen als durch rohe Gewalt dazu zu bringen, wie von ihm gewünscht zu handeln.
Gerade die wenigen Szenen, in denen der Mann mit der schwarzen Katze seine besonderen Gaben offenbart, gehören dabei zu den denkwürdigsten des Romans.
Ganz offensichtlich liebt es Nikola, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen und, ja nennen wir es beim Wort, ein wenig anzugeben. Fast schon schulmeisterisch beweist er seinem Gegenüber und dem Leser, wie er durch feste Materie schauen kann. Daneben erweist er sich als eiskalter Denker, der in seinem Labor in Port Said anatomische Studien betreibt.

Geschickt mischt der Autor hier den Flair ferner Gestade und farbenprächtiger Kulissen mit der Beschreibung eines Mannes, dessen unbestrittener Intellekt seine Ambitionen maßgebend unterstützt. Bei einem Publikum, das kaum dem tristen Alltag zu entfliehen vermag, sind die beschriebenen Südseeinseln, der Suezkanal und das ferne Australien natürlich ein Garant dafür, die Leser an die Seiten zu fesseln. Doch auch heute noch üben die Beschreibungen einen ganz eigenen Reiz auf den Leser aus.

Dass uns Nikola im Wesentlichen durch die Augen seine Opfer beschrieben wird, trägt nur zur Rätselhaftigkeit und dem Nimbus des Übernatürlichem bei, der ihn umweht. Das hat Flair, versetzt uns in eine uns fremde, dabei aber gleichzeitig anheimelnde Zeit, besticht durch einen Antihelden, der seinesgleichen sucht, und macht neugierig darauf, ob und wie Doctor Nikola seinem Ziel im nächsten Band näherkommen wird.