Sandman 8: Worlds´ End (Comic)

Neil Gaiman
Sandman 8
Worlds’ End
(The Sandman: Worlds’ End, # 51-56, 1991-95)
Titelillustration von Dave McKean
Zeichnungen von Bryn Talbot, John Watkiss, Michael Alfred, Michael Zulli Shea Anton Pensa, Dick Giordano, Mark Buckingham, Gary Amaro und anderen, Farbe von Danny Vozzo
Aus dem Amerikanischen von Gerlinde Althoff
Panini, 2009, Paperback mit Klappenbroschur, 172 Seiten, 19,95 EUR, ISBN 978-3-86607-783-6

Von Frank Drehmel

Wie zuvor Band 3, »Traumland«, und Band 6, »Fabeln und Reflexionen«, ist auch »Worlds’ End« als Sammlung einzelner Short-Storys konzipiert, die hier allerdings durch eine Rahmenhandlung zusammengehalten werden.

Brand Tucker und Charlene Mooney verunglücken eines Nachts in einem unerklärlichen sommerlichen Schneesturm mit ihren Wagen. Orientierungslos schleppt Brand seine schwerverletzte Beifahrerin durch das nächtliche Schneetreiben, als ihm unerwartet eine Stimme den Weg zu einer Taverne namens »Worlds’ End« weist.
Hinter den erleuchteten Fenstern wartet eine Vielzahl seltsamer Wesen auf das Ende des Unwetters, das laut Auskunft eines Gastes kein Schnee- sondern ein Realitätssturm sein soll. Charlene, die zwischenzeitlich von einem Zentauren medizinischen versorgt wurde, sowie Brand gesellen sich zu einigen Gästen und lauschen den Geschichten, die diese als Zeitvertreib zum Besten geben.

»Eine Geschichte aus zwei Städten« (A Tale of Two Cities)
Der kleine Büroangestellte Robert ist so obsessiv fasziniert von der großen Stadt, in der er arbeitet und lebt, dass er ganz in ihren unterschiedlichen Stimmungen bzw. Orten aufgeht, er beim bloßen Anblick der Parkanlagen, des nächtlichen Treibens oder beim Erkunden kleiner Seitenstraßen tiefes Glück empfindet, und darüber seine Mitmenschen vergisst.
Erst ein bleicher Mann mit wilden schwarzen Haaren, langem schwarzen Mantel und einem unergründlichem Blick, in dem sich die nächtlichen Sterne widerzuspiegeln scheinen, öffnet Robert die Augen für das Wesen der träumenden Stadt. Und dieses Wesen lässt den Mann vor Furcht erzittern.

»Cluracans Geschichte« (Cluracan’s Tale)
Die Königin der Anderswelt entsendet den dandyhaften, unsteten Cluracan in die Stadt Aurelia mit dem Auftrag, einen Allianz der Völker der Ebenen zu verhindern, da diese nicht gut für das Elfenreich wäre. Zwar musste der leichtlebige Gesandte vor 1200 Jahren schon einmal die Stadt überstürzt verlassen, aber seiner Herrscherin zuliebe nimmt er die beschwerliche Reise auf sich und gerät prompt in ein politisches Ränkespiel des autokratischen Herrschers Aurelias, in dessen Folge er im Kerker des Despoten landet. Erst als Morpheus Cluaracan auf Bitten seiner Schwester Nuala, die im Dienste des Traumkönigs steht, befreit, kann er seinen Auftrag zu Ende bringen.

»Hobs Leviathan« (Hob’s Leviathan)
Jims Sehnsucht gilt seit Kindesbeinen der See. An seinem dreizehnten Geburtstag verlässt er sein Elternhaus, um auf dem ersten vieler Schiffe anzuheuern, die seinen Lebensweg kennzeichnen sollen. Auf einer seiner abenteuerlichen Reisen begegnet er dem eloquenten Mr. Gadling, einem Mann des Wissens, der älter zu sein scheint, als er vorgibt, der selbst dann nicht die Fassung verliert, als das Schiff auf offener See dem gewaltigen Leviathan begegnet, und der Jims tiefstes Geheimnis durchschaut.

»Der Goldjunge« (The Golden Boy)
In dem Amerika einer alternativen Realität erblickt ein Junge das Licht der Welt. Schon im Kindsbett glauben seine Eltern, dass er für Großes bestimmt sei, und nennen ihn Prez (als Abkürzung für President). In der Tat beginnt Prez schon als Teenager politische Karriere zu machen, bis ihm eines Tages der metaphysische Herr dieser Welt, Boss Smiley, das Angebot unterbreitet, ihn zum Präsidenten der Vereinigten Staaten zu machen. Selbstbewusst lehnt Prez Rickard jedoch ab und schafft es tatsächlich im Alter von nur 19 Jahren, 1972 gegen den amtierenden Präsidenten, Richard Nixon, die Wahl zu gewinnen. Doch auch wenn der Newcomer in der folgenden Zeit großartige Dinge von weltpolitischer Bedeutung vollbringt, hat Boss Smiley für Prez ein ganz besonders Los vorgesehen, das mit dem Tode des jungen Mannes nicht enden soll.

»Leichentücher« (Cerements)
In Lithargia, der riesigen Nekropolis, pflegen die Bewohner die Kunst und Kultur des Bestattens, die einen – wie Meister Klaproth – mit viel Akkuratesse und Hingebung, die anderen – wie Lehrling Petrefax – eher unaufmerksam. Eines Tages erhält Petrefax von Klaproth die Aufgabe, sich mit den Ritualen der Luftbestattung vertraut zu machen und zu diesem Zwecke Meister Hermas und dessen Gesellen aufzusuchen, welche dem jungen Mann nach getaner Arbeit einige Geschichten erzählen, die sich um das Töten, das Sterben und vor allem die Notwendigkeit drehen, die Toten – die Klienten – durch die eigenen Kunst zu ehren, da es ansonsten den Untergang Lithargias bedeuten könnte.

Kaum ist die letzte Erzählung beendet, erfahren Tucker, Charlene Mooney und die übrigen Gäste des »Worls End«, was den Realitätssturm ausgelöst zu haben scheint, der sie in der Taverne gefangen hielt: ein himmlischer Trauerzug! Doch das ist eine andere Geschichte.

Mit »Worlds’ End« steht auch die »Sandman«-Serie kurz vor ihrem Finale. Einen Ausblick darauf, was den Leser im neunten und vorletzten Band, »Die Gütigen« (The Kindly Ones), erwartet, geben die letzten Seiten des vorliegenden Tradepaperbacks; doch dieser Blick in die Zukunft ist nicht viel mehr als eine Fußnote, denn auch die Geschichten dieses Albums leben – wie so viele Gaiman-Storys – sowohl von reichhaltigen Bezügen auf die Vergangenheit, von den zahlreichen Reminiszenzen und Verweisen auf historische sowie fiktive Personen oder Sachverhalte, als auch von einem Überschwang an Phantasie und traumhaften, surrealen Szenarien bzw. Handlungen, in denen immer wieder philosophische Fragen mit leichter Hand – quasi »en passant« – thematisiert werden.
Morpheus, der Sandman, taucht in diesen Spielen mit Wirklichkeit(en) und Träumen zwar nur als Randfigur auf, jedoch wird selbst in diesen kurzen Szenen der grundsätzlich philanthropische Ansatz der Charakters deutlich.

Das Artwork der an diesem Tradepaperback beteiligten Künstler ist in toto äußerst vielseitig und wird den Geschichten im Großen und Ganzen gerecht. Künstlerisch am Eigenständigsten ist mit seiner Absage an eine übliche Panel-Einteilung und -Abwicklung sowie den Verzicht auf Sprechblasen Alec Stevens »Eine Geschichte aus zwei Städten«, die eher einer illustrierten Short-Story als einem klassischen Comic gleichkommt. John Watkiss (Cluracans Geschichte) und Mike Allred (»Der Goldjunge«) bedienen sich in ihren Beiträgen vor allem einer klaren Linienführung, wobei erstere Geschichte grafisch etwas lebendiger wirkt. Das Artwork der übrigen Zeichner – Michael Zulli (»Hobs Leviathan«), Shea Anton Pensa (»Leichentücher«) und Gary Amaro (»Worlds’ End«) – ist zwar relativ konventionell, bietet aber auf Grund des eher leichten, flirrenden Strichs und mutigerer Schraffuren visuell angenehme Abwechslung.

Der redaktionelle Teil beschränkt sich auf ein Vorwort Stephen Kings, zu dem ich nicht mehr sagen will als, »Typisch King!«, eine kurze Danksagung Gaimans sowie drei Seiten mit skizzenhaften Portraits aller am Comic maßgeblich beteiligten Personen.

Fazit: Hintergründige, anregende Geschichten, deren Anliegen eher das Stellen von Fragen als das Liefern von Antworten ist, machen »Worlds’ End« zu einer Empfehlung für Freunde niveauvoller Comics.