Schweikert, Ulrike: Pyras – Die Erben der Nacht 3 (Buch)

Ulrike Schweikert
Pyras
Die Erben der Nacht 3
Titelgestaltung von Nele Schütz Design, München unter Verwendung einer Illustration vpn Paolo Barbieri
cbt, 2009, Paperback mit Klappenbroschur, 533 Seiten, 12,95 EUR, ISBN 978-3-579-30480-8

Von Irene Salzmann

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts haben die Vampir-Clans in Europa erkannt, dass sie ihre uralten Vorurteile und Feindschaften überwinden müssen, wollen sie überleben. Es werden immer weniger Kinder geboren, und die Menschen entwickeln neue Technologien, denen die Vampire wenig entgegensetzen können. So kommen sie überein, dass jeder Clan den »Erben der Nacht« sein besonderes Wissen, das er bislang eifersüchtig hütete, vermittelt, damit die Jugendlichen eine Zukunft haben.

In Rom bei den »Nosferas« (Band 1) lernten die Vampire, die zwischen 10 und 17 Jahre alt sind, wie man die Macht religiöser Symbole überwindet. Dabei bekommen sie es mit Vampir-Jägern zu tun. Ein Jahr später treffen sich alle in Irland bei den »Lycana« (Band 2) wieder und werden darin unterrichtet, mit dem Geist Tiere zu kontrollieren und sich selber in welche zu verwandeln. Dabei werden sie in die Konflikte der Briten und Iren sowie der Vampire, Werwölfe und Druiden hinein gezogen.
Die nächste Station sollte bei den Vamalia in Hamburg sein, aber die historischen Handelshäuser werden abgerissen, und der Clan muss sich ein neues Versteck suchen. Um die Jugendlichen in Sicherheit zu wissen, werden sie nach Paris zu den »Pyras« (Band 3) geschickt, die in den Katakomben unter der Stadt ein Leben führen, das ganz anders ist als das der übrigen Clans.

Schon immer wurde auf die Pyras herabgesehen, da sie kaum zwischen Reinblütern und Servienten unterscheiden, dazu ein Leben wie Bettler oder Räuber fern jeglicher Kultur führen. Trotzdem können auch sie die jungen Vampiren vieles lehren, beispielsweise wie man sich mit Hilfe seiner Sinne im Dunkeln und in unbekanntem Gebiet orientiert oder wie man Ratten kontrolliert und durch ihre Hilfe die eigene Wahrnehmung erweitert.
Allerdings nimmt der Unterricht ein jähes Ende, als erst die Ältesten der Pyras immer hinfälliger werden und schließlich zu Staub zerfallen, dann auch Servienten und jüngere Reinblüter betroffen sind. Niemand kann sich erklären, was die Ursache dafür ist. Obendrein ist einer der Clan-Führer spurlos verschwunden; man vermutet, dass er in eine Falle geraten ist.
Ivy-Máire lernt auf ihren Streifzügen durch den Untergrund »das Phantom der Oper« kennen und ist augenblicklich fasziniert von dem geheimnisvollen Maskenträger, der überaus intelligent, talentiert und gebildet ist. Auch Erik ist von Ivy angetan und lädt sie, entgegen seiner Prinzipien, in sein unterirdisches Versteck ein. Es dauert nicht lange, dann hat er weitere neugierige Gäste. Er verspricht ihnen sogar, sie mit in die Oper zu nehmen, was beinahe mit einem Desaster endet.
Latona, die Nichte des Vampirjägers Carmelo, die man beide laufen ließ, nachdem sie in Rom versprochen hatten, die Vampire nie wieder zu behelligen, entdeckt Malcom in einer der Logen. Obwohl zwei Jahre vergangen sind, scheinen sie nicht voneinander lassen zu können. Es kommt zu einem verhängnisvollen Kuss, und nur Ivys Einschreiten verhindert Schlimmstes.
Doch Latona hat noch mehr Sorgen: Ihr Onkel verschwindet jede Nacht in einem Hospital. Nachdem sie zunächst die Annahme ihrer neuen Freunde Bram Stoker und Oscar Wilde, er leide an einer peinlichen Krankheit, teilte, macht sie eine furchtbare Entdeckung und muss eine schwere Entscheidung mit Konsequenzen fällen.
Unterdessen findet Alisa einen Anhaltspunkt, was die mysteriöse Krankheit ausgelöst haben könnte. Gemeinsam mit Franz Leopold und Luciano sucht sie nach Erik und bittet ihn um Unterstützung. Kann und will »das Phantom der Oper« den Vampiren helfen?

Nachdem Ulrike Schweikert mit »Nosferas« positiv überraschte, lieferte sie mit »Lycana« einen etwas schwächeren Roman ab. Gespannt wartete man daher auf »Pyras« und erhoffte eine neuerliche Steigerung. Nahm man nach den ersten Seiten noch an, die Autorin habe die Lust verloren und packe zwei Lehrjahre bei verschiedenen Clans in einen Band, so wurde man schon bald angenehm enttäuscht. Der kurze Aufenthalt bei den Vamalia diente dazu, die Freundschaftsstrukturen und Animositäten, die von den Menschen ausgehende Gefahr und die Flexibilität der jungen Vampire zu veranschaulichen.
Dann beginnt auch schon die eigentliche Handlung und entführt den Leser in den Pariser Untergrund. Schnell wird man in ein düsteres, faszinierendes Reich hineingezogen, das es mit den Straßen Roms aufnehmen kann. Man merkt, dass die Autorin vor Ort recherchierte und ihre Eindrücke einfließen ließ, jedoch auf angemessene Weise und nicht so verkrampft wie in »Lycana«. In Folge entfaltet sich die Kulisse eines etwas anderen, unheimlichen Paris, das die Atmosphäre gelungen transportiert.
Die Protagonisten sind bestens bekannt, so dass keine ausführlichen Vorstellungen notwendig sind und sich das Wesentliche aus der Handlung erklärt. Die jungen Vampire sind älter geworden, zeigen aber immer noch die Unternehmungslust und Plänkeleien von Kindern, ausgenommen Franz Leopold, der zwar mitmacht, aber reifer agiert als früher. Man vermisst ein wenig seine Arroganz, aber sie hätte sich abgenutzt, und wenn die Autorin langsam zu einem besonnenen Verhaltensmuster übergeht, das in Zukunft für nachvollziehbare Maßnahmen sorgt, ist dies ein geschickter Schachzug.
Das Miteinander der Vampire basiert auf Freundschaften und ersten romantischen Gefühlen. Es ist aber noch alles offen, denn das Liebeskarussell der Hauptfiguren dreht sich weiter. Ivy-Máire, die nicht das ist, was sie vorgibt zu sein, ist nach wie vor ein Mädchen, das die Herzen vieler höher schlagen lässt. Die burschikose Alisa weist weit weniger Superlative auf, ist dafür überaus wissbegierig, belesen und sehr viel offensichtlicher in ihren Handlungen, wodurch sie die jungen Männer öfters verblüfft, sich als Identifikationsfigur jedoch eher anbietet als Ivy. Dennoch wurde sie von der Freundin, die ein Geheimnis hütet, das als roter Faden alle Bände durchläuft, in den Hintergrund gedrängt. Dasselbe gilt auch für Franz Leopold und Luciano, die durch Malcom und Erik vorübergehend an Boden verlieren.
Auch das ist charakteristisch für die »Erben der Nacht«-Bände: Es werden Charaktere erwähnt oder eingefügt, die tatsächlich gelebt haben wie Bram Stoker, Oscar Wilde und Louis Pasteur, aber auch Figuren aus der Literatur wie Abraham van Helsing und Erik, »das Phantom der Oper«. Ihnen widmet die Autorin im Anhang ebenso einige Aufmerksamkeit wie dem Glossar.
Die Handlung spielt an verschiedenen Orten und setzt alle Charaktere ein, um eine spannende, vielseitige Geschichte zu erzählen. Es gibt nicht nur einen Helden oder ein verliebtes Paar sondern zahlreiche Akteure, die ihre Rollen verändern können, und dementsprechend viele Konflikte kleinerer und größerer Natur. An taktisch geschickten Stellen wechseln die Szenen und halten des Lesers Neugierde wach, so dass er das Buch kaum aus der Hand legen möchte, bevor er das Ende kennt.
Nicht alle Geheimnisse werden enthüllt – manches darf man selber weiterspinnen, oder aber die Antworten erfolgen vielleicht im nächsten Roman, für den die Weichen unauffällig gestellt wurden: Wer ist der mysteriöse siebte Vampir-Clan? Trotzdem fühlt man sich rundum befriedigt, denn die wichtigen Antworten wurden gegeben, so dass man »Pyras«, ebenso wie die anderen Romane, als eine in sich abgeschlossene Lektüren betrachten kann.

Alles in allem ist »Pyras« ein Roman, der sich mit »Nosferas« messen kann. Das Buch zieht die Leser in den Bann und macht neugierig auf die nächste Folge. Anschauliche Beschreibungen, sympathische Protagonisten und eine packende, komplexe Handlung, die gleichermaßen mit geschichtlichen Fakten und Fantasy aufwartet, Romantik und überraschende Wendungen bietet, vermögen zu überzeugen.
Man sollte Jugendbücher wahrlich nicht einfach als ›Kinderkram‹ abtun, denn im Moment erscheint in diesem Bereich eine All Age-Phantastik, die wesentlich interessantere und vielseitigere Titel bietet, als man sie unter den entsprechenden Genres der Verlags-Programme findet (»Bella & Edward«, »Der Clan der Otori« und »Die Gilde der Schwarzen Magier« sind nur drei Beispiele für Bestseller, die als Jugendbuch und unter den Phantastik-Labeln der Verlage publiziert wurden).
Mag man historisch angehauchte Mystery mit Vampiren, etwas Action und verhaltener Romantik, ist man bei den »Erben der Nacht« an der richtigen Stelle. Nicht nur Mädchen ab 14 haben Spaß an der Lektüre – auch Leserinnen und Leser aller Altersstufen werden von dieser Reihe bestens unterhalten.