Alim der Gerber 1: Das Geheimnis des Wassers (Comic)

Alim der Gerber 1
Das Geheimnis des Wassers
(Alim le tanneur: Le secret des eaux, 2006)
Wilfrid Lupano (Text)
Virginie Augustin (Zeichnungen, Farbe)
& Geneviève Penloup (Farbe)
Aus dem Französischen von Monja Reichert
Titelgestaltung von Dirk Schulz
Splitter, 2009, Hardcover, 48 Seiten, 12,80 EUR, ISBN 978-3-940864-93-2

Von Irene Salzmann

Das Leben in Jesameth ist hart, vor allem für die Kastenlosen, zu denen Alim der Gerber, sein alter Schwiegervater und das kleine Töchterchen Bul gehören. Während die Armeen des Reiches ausziehen und angrenzende Länder unterwerfen, deren Bewohner nicht an die Macht des einen Gottes und seines Propheten Jesameth glauben, kontrolliert der religiöse Iasubiner-Rat streng die Untertanen.
Wie streng, das müssen Alim und seine Familie bald am eigenen Leib erfahren. Selbst einem kleinen Kind sind Spiel und Spaß nicht vergönnt, und nachdem Bul Kommissar Janissaire auffiel, ruht sein wachsames Auge ständig auf Alim. So werden sie ausgerechnet an einem großen Festtag damit bestraft, dass sie eine gestrandete Killersirene verarbeiten und entsorgen müssen.

Zufälligerweise macht Bul eine unglaubliche Entdeckung: Im Magen des Meereswesens findet sie Jesameths Helm, Panzer und Schwert. Nun ist guter Rat teuer. Alim möchte die heiligen Reliquien den Priestern überlassen, doch sein Schwiegervater spricht sich dagegen aus. Bestimmt lässt der Iasubiner-Rat niemanden am Leben, der ein Geheimnis kennt, das den Glauben in seinen Grundfesten erschüttern würde.
Und wieder ist es Bul, die durch eine unbedachte Äußerung ihre Familie in Schwierigkeiten bringt. Alim und das Mädchen werden als Ketzer verhaftet und sollen hingerichtet werden. Um sie zu retten, versucht es der Großvater mit einem riskanten Trick …

»Alim der Gerber« ist ein spannender Fantasy-Comic, der in eine Welt entführt, die vage an »1001 Nacht« erinnert und sehr viele Anspielungen auf historische und aktuelle Gegebenheiten enthält, zum Beispiel das Kasten-System nach indischem Vorbild, die Verquickung von Politik und Religion, wie es im Iran der Fall ist, die Dogmatisierung des Glaubens, wie man ihn auch im Katholizismus findet, ein Wunder wirkender Prophet wie im Judentum, religiöse Eiferer und Selbstmörder, wie es sie zu allen Zeiten und in allen Glaubensrichtungen gab und gibt, puritanische Strenge, der Hass auf Barbaren und Andersgläubige, von dem sich laut der Geschichtsbücher wohl keine Nation freisprechen kann usw.
Wie sogar mit den Einheimischen in einem menschenverachtenden, totalitären System umgesprungen wird, verdeutlicht das Schicksal der Titelfigur. Obwohl sich Alim bemüht, seine Pflichten zu erfüllen und unauffällig zu sein, hat man ihn auf dem Kieker und findet immer wieder etwas, um ihn und seine Angehörige in Angst und Schrecken zu versetzen. Nicht einmal kleinen Kindern wird Gnade gewährt, wenn man sich am untersten Ende der Hierarchie befindet. Banalitäten werden genauso streng geahndet wie Gotteslästerung. In Konsequenz haben Alim und seine Familie keine andere Wahl, als alle Unbill zu erdulden, die Wahrheit zu verschweigen und zu fliehen.
Ob sie sich retten können und was ihnen weiter zustößt, verraten die nächsten Bände. »Das Geheimnis des Wassers« wurde preisgegeben, aber es gibt noch viele andere Fragen, die auf Antworten warten. Das Künstlerteam stellt in Form kleiner Details die Weichen für das Kommende. Man darf ahnen, dass, selbst wenn die Flucht glückt, der Iasubiner-Rat nicht so schnell aufgeben wird und ein Exempel an einigen der schwächsten Gliedern der Hierarchie statuieren will, denn Personen, die keine Beschützer und keinen Rückhalt im Volk haben, sind leichte Opfer.
So läuft eine nachvollziehbare Handlung vor einem düster-dramatischen Hintergrund ab, der mehr Realismus aufbietet, als man es von einem Fantasy erwartet. Getragen wird die Geschichte von detailreichen Zeichnungen in erdigen Tönen. Die Figuren wirken comichaft, da ihre individuellen Züge übertrieben dargestellt werden.

Schätzt man intelligente Fantasy, dann sollte man einen Blick in »Alim der Gerber« werfen. Vor allem Leser von Titeln wie »Slhoka«, »Das Einhorn« und »Die Druiden« dürften viel Vergnügen an diesem Titel haben.