Kristin Cashore: Die Königliche (Buch)

Kristin Cashore
Die Königliche
Die sieben Königreiche 3
(Bitterblue, 2009)
Aus dem Amerikanischen von Katharina Diestelmeier
Titelgestaltung von Kerstin Schürmann unter Verwendung eines Fotos von Andreas Kuehn / Illustrationen, Vignetten und Karte von Ian Schoenherr
Carlsen, 2012, Hardcover, 568 Seiten, 19,90 EUR, ISBN 978-3-551-58268-3 (auch als eBook erhältlich)

Von Irene Salzmann

Nach dem Tod ihres Vaters, König Leck alias Immiker, wird Bitterblue Herrscherin über Monsea. Das junge Mädchen möchte ihre Aufgaben nach besten Kräften erfüllen, doch schon bald erkennt sie, dass sie gar nichts über ihr Volk und die Zustände in ihrem Reich weiß. Die alten Ratgeber, die bereits ihrem Vater dienten, halten vieles von ihr fern und verschleiern den Rest.

In Folge schleicht sich Bitterblue nachts heimlich aus dem Palast, um sich selbst ein Bild von der Situation zu machen. Auf einem ihrer Ausflüge lernt sie zwei junge Männer kennen, Teddy und Saf, die eine Druckerei betreiben und sich bemühen, die Wahrheit, nach der die Königin so verzweifelt sucht, festzuhalten, den Menschen Lesen und Schreiben beizubringen und ihnen Dinge zurückzugeben, die Leck ihnen gestohlen hat. Dadurch erregen sie die Aufmerksamkeit jener, die ein Interesse daran haben, dass vieles vergessen wird, vor allem die Grausamkeiten des früheren Königs. Teddy wird niedergestochen, jemand legt Feuer in seiner Druckerei, und Saf soll im Gefängnis sterben, da ihm ein Mord in die Schuhe geschoben wurde, den er nicht begangen hat. Es gelingt Bitterblue, den Mann, den sie liebt, mit Hilfe ihrer Freunde zu retten. Doch der Preis ist hoch: Saf weiß nun, wer Sparks in Wirklichkeit ist – und das gegenseitige Vertrauen ist zerstört. Er rächt sich, indem er Bitterblues Krone stiehlt und sie an einen Hehler weiterreicht. Das kann die Königin jedoch nicht dulden. Das Zeichen ihrer Macht muss zurück in den Palast, bevor jemand davon erfährt. Dieser Diebstahl ist Hochverrat und wird mit dem Tod bestraft. Selbst Bitterblue könnte Saf dann nicht mehr schützen…

Die bittersüße (nomen est omen) Romanze von Bitterblue und Saf ist eingebettet in eine Krise, unter der die sieben Königreiche leiden („Die Beschenkte“ und „Die Flammende“): Skrupellose, grausame Herrscher knechten ihre Völker, doch leisten überall kleine Gruppen mutiger Männer und Frauen Widerstand. Einige Herrscher konnten bereits abgesetzt werden, und die Rebellen knüpfen über die Grenzen hinweg Kontakte zu Gleichgesinnten. Bitterblue überlässt diese Dinge ihren treuen Freunden, denn sie hat genug mit Monsea, ihrem eigenen Reich, zu tun. Es gibt so vieles, was sie nicht weiß, weil Leck die Erinnerungen aller manipuliert hat. Die meisten wollen gar nicht wissen, was er ihnen antat oder zu welchen Gräueltaten er sie zwang. Nicht jeder, der Bitterblue dient, handelt nach ihrem Willen, und so muss sie lernen, Freund und Feind voneinander zu unterscheiden. Je mehr sie herausfindet, umso schrecklicher wird das Bild, welches sich ihr zunehmend offenbart. Leck schlug Wunden, die nur schwer, manchmal gar nicht heilen und immer noch die Betroffenen zu Verzweiflungstaten treiben. Dementsprechend schwer ist es für Bitterblue, Safs Vertrauen zu gewinnen, und kaum kommen sie einander näher, wird es auch schon wieder durch die Geheimnisse, die beide hüten, zerstört.

Trotzdem gibt das junge Mädchen nicht auf, denn sie will ihr Volk wahrlich befreien und auf ein wenig Glück für sich selbst hoffen dürfen. Wie ein Puzzle beginnt sie, die einzelnen Teile zusammenzusetzen: die Chiffre-Botschaften ihrer ermordeten Mutter, die in einer fremden Sprache verfassten und verschlüsselten Tagebücher ihres Vaters und was ihr sonst noch an Informationen zugespielt wird. Das verlorengegangene Wissen ist der Schlüssel für eine bessere Zukunft. Und es gibt noch eine Überraschung: Hinter dem Gebirge liegen bislang unbekannte Königreiche. Damit wird der zweite Band, der in den Dells und in Pikkia spielte, in die Gesamthandlung integriert. Leck ist das Bindeglied, denn er fand einen Weg in jene Länder und begegnete dort Fire, die nun als Gesandte für einen kleinen Aha-Effekt sorgt. Da die größeren Konflikte aber noch nicht gelöst sind, darf man davon ausgehen, dass Kristin Cashore wenigstens noch einen vierten Band verfassen wird.

Die bislang drei Romane über „Die sieben Königreiche“ können durchaus für sich gelesen werden, doch empfiehlt es sich, die Reihenfolge beizubehalten, da sich die Autorin in „Die Königliche“ nicht die Mühe macht, Bitterblues Freunde aus „Die Beschenkte“ und die Gäste aus „Die Flammende“ im Detail vorzustellen. Nur kurz wird Bezug auf zurückliegende Geschehnisse genommen, und kennt man die Hintergründe, macht die Lektüre natürlich mehr Spaß.

Erfreulich ist, dass man eine Fantasy-Serie geboten bekommt, die ganz auf Elfen, Zwerge, Trolle und all die anderen Standard-Figuren verzichtet – eine willkommene Abwechslung. Kristin Cashores Szenarien wirken teils vertraut, teils sind sie etwas völlig eigenständiges, denn es gibt Menschen mit und ohne besondere Gaben, dazu Monster, bei denen es sich um Tiere mit Gaben handelt. Manchmal tritt das große Gesamte in den Hintergrund zugunsten der Einzelschicksale. Wird diesen zu ausführlich nachgegangen, können Längen auftreten. Dennoch ist man fasziniert von dieser Welt und legt das Buch erst aus der Hand, wenn man das Ende gelesen hat.