Oliver Henkel: Die Fahrt des LEVIATHAN (Buch)

Oliver Henkel
Die Fahrt des LEVIATHAN
Titelbild: Timo Kümmel
Atlantis, 2012, Paperback, 586 Seiten, 14,90 EUR, ISBN 3-789-3941258-26-6 (auch als Hardcover direkt beim Verlag und als eBook erhältlich)

Von Gunther Barnewald

Man schreibt das Jahr 1862, jedoch nicht das uns bekannte Jahr 1862. Denn in dem vom Buch beschriebenen Jahr existiert in South Carolina die preußischer Kolonie Karolina mit ihrer Hauptstadt Friedrichsburg. Und während gerade um das kleine Land herum der amerikanische Bürgerkrieg tobt, versucht die Kolonie ihre Unabhängigkeit zu wahren.

Der farbige Offizier Wilhelm Pfeyfer ist für die Sicherheit in der Hauptstadt zuständig, zumal dort gerade der Thronfolger weilt. Doch eine gigantische Verschwörung ist im Gange, welche zum Sieg der Südstaaten und damit zur Rückeroberung South Carolinas führen soll. Alle dort in Freiheit lebenden Farbigen sollen wieder versklavt, die deutschen Kolonisten enteignet und außer Landes gejagt werden. Scheinbar unterstützt von einem Spion aus dem österreichisch-ungarischen Kaiserreich bereiten sich die Reaktionäre aus den Südstaaten darauf vor, den endgültigen Sieg zu erringen. Ihre Waffe: Das gigantische Schiff mit Namen Leviathan, vormals unter dem Namen „Great Eastern“ bekannt, soll zu einem vernichtenden Terroranschlag benutzt werden, um Präsident Lincoln und seine Unterstützer zu stürzen und den Bürgerkrieg endgültig zu entscheiden. Dass dabei auch vor blankem Terror nicht zurückgeschreckt wird zeigt, dass den Strippenziehern wirklich jedes Mittel recht ist, die Sklaverei in Nordamerika flächendeckend wieder einzuführen...

Oliver Henkels neue Alternativweltgeschichte (der Autor schreibt nichts anderes, was aber auch gut so ist, denn seine Werke sind immer lesenswert, manchmal sogar hervorragend) wirkt wie aus einem Guss und lässt sich trotz der fast 600 Seiten in einem Rutsch (allerdings einem langen) durchlesen. Dies ist auch die unbestrittene Stärke des Buchs. Dazu kommt noch die tolle Atmosphäre und die glaubhaften, wenn auch oft etwas einseitigen Charaktere.

Manko ist sicherlich die starke Festlegung der Protagonisten in Gut und Böse, welche erst gegen Ende relativiert wird, da einige Personen nicht das sind, was sie vorgeben zu sein. Trotzdem mangelt der Geschichte etwas die innere Spannung, da alles zu sehr festgelegt erscheint, wie eine Partie Schach, bei der jeder weiß, wem welche Figuren gehören. Dadurch fällt dem Leser die Identifikation leider etwas zu leicht, schnell kann man Position beziehen, nie gibt es Zweifel, wer die Guten, wer die Bösen sind. Der einzige Zweifel an der tollen preußischen Toleranz und dem wunderbaren Vielvölkerstaat (inklusive Indianern!), den der Autor hier entwirft, kassiert Henkel zum Schluss leider auch noch. Deshalb gibt es keine inneres Entwicklungen der Charaktere, keine Reifungsprozesse, kaum Selbstzweifel. Die Geschichte endet quasi dort, wo sie begann, der Rest ist Friede, Freude und ... na ja ... was auch immer. Schade, denn dem perfekten Lesevergnügen ist dies etwas abträglich.

Was aber insgesamt bleibt ist eine stilistisch brillant erzählte und gut ersonnene Intrigengeschichte, die mit einem makellos konstruierten Spannungsbogen prunkt, der auch nach über 500 Seiten den Leser mühelos bei der Stange hält. Hut ab, Herr Henkel! Kein perfektes Buch, aber sensationell gute Unterhaltungsliteratur, bei der man sich schwertut, ob man nun 4 oder 5 Sterne geben soll (aber im Zweifel für den Angeklagten, deshalb hier sozusagen doch die Note 1, wenn auch mit einem dicken Minus dahinter).