Professor Bell 2: Die Puppen von Jerusalem (Comic)

Professor Bell 2
Die Puppen von Jerusalem
(Professeur Bell – Les poupées de Jérusalem)
Text & Zeichnungen: Joann Sfar
Übersetzung: David Permantier
Avant, 2012, Album, 48 Seiten, 14,95 EUR, ISBN 978-3-939080-56-5

Von Frank Drehmel

Joseph Bell (1837 bis 1911), seines Zeichens schottischer Chirurg, Kinder- und Militärarzt, Wegbereiter der modernen Forensik, inspirierte nicht nur einst den englischen Autor Sir Arthur Conan Doyle zu seiner berühmten Figur Sherlock Holmes, sondern veranlasste den französischen Comicszenaristen und Regisseur Joann Sfar zur „Professor Bell“-Serie, deren erster Band auf das Jahr 1999 datiert und die die Figur in einen dunklen, metaphysischen und mystischen Kontext stellt.

Getrieben von Langeweile begeben sich Professor Bell und sein geisterhafter Begleiter Eliphas eines Nachts zur Sekte der Tempelhändler, einem Zirkel zwielichtiger Geschäftsleute, die in den düstersten Gassen Londons mit verbotenen Substanzen und gestohlenen Kostbarkeiten handeln. Bells Blick fällt sofort auf zwei Flaschen, in denen zwei kleine lebendige Menschen – ein Priester und ein Rabbi – gefangen sind; ohne zu zögern erpresst der Professor den Händler, ihm die beiden auszuhändigen und schenkt den puppengroßen Wesen bei sich zu Hause die Freiheit.

Die beiden Geretteten bitten den Professor nicht nur, ihnen ihre Größe wiederzugeben, sondern sie auch auf ihrer Mission zu unterstützen: sie gehören zu einem geheimen Orden, der seit über 5000 Jahren in Jerusalem alle 1000 Jahre gegen die Rückkehr Satans in die Welt kämpft. Vorzeichen deuten darauf hin, dass erneut ein Zyklus um ist und Schaitan versuchen wird, den Mauern der Stadt zu entfliehen, um Unheil über die Welt zu bringen.

In Begleitung Eliphas und Inspektor Mazocks reist Bell in die Heilige Stadt, um die Ordensbrüder – den Rabbi, den Christen und einen Moslem – in ihrem Kampf gegen den Herren der Hölle und seine Diener beizustehen.

Joann Sfar hat mit „Professor Bell“ eine Figur und eine Serie geschaffen, die in der modernen franko-belgischen Comic-Kunst ihresgleichen sucht. Erzählerisch führt uns der Autor zurück ins 19. Jahrhundert an die Schwelle zur neuzeitlichen Technik, deren Errungenschaften absurderweise zunächst den Teufel fesseln – so schleicht Schaitan mit einer riesigen Stativ-Kamera über der Schulter durch die Gassen Jerusalems –, während der Herold und Statthalter der Moderne, Professor Bell, tief im Mystizismus und in der Metaphysik zwar nicht verloren, aber immerhin so bewandert ist, wie es einem aufgeklärten Zeitgenossen nur schwerlich geziemt.

Die düstere Story, die immer wieder von komisch-bizarren Szenen aufgelockert wird, lebt von den geschliffenen Dialogen voller Sarkasmus und Zynismus, aber auch humorvoller Wortspiele, von Morbidität – garniert mit sachter Religionskritik – und kulturellen Anspielungen sowie nicht zuletzt den hochinteressanten und ambivalenten Hauptfiguren, wobei insbesondere Bell einen durchaus sinistren und nicht ganz rechtschaffenden Eindruck hinterlässt, während sein Gegenspieler, der Teufel, vergleichsweise tutig und naiv daherkommt.

Das Beeindruckendste jedoch ist zweifellos Sfars Artwork, das nach einer kurzen Gewöhnungsphase den Leser nicht mehr loslässt. Wirken die Bilder zunächst statisch und skizzenhaft und erinnern stilistisch an Bildergeschichten und Illustrationen des 19. Jahrhunderts, so erzeugt das Spiel mit tiefen Verschattungen, mutigen, abwechslungsreichen Schraffuren und angedeuteten Hintergründen in Verbindung mit der expressiven, klaren Koloration schon nach kurzer Zeit nicht nur ein beklemmendes, bedrohliches Gefühl, sondern führt den Leser ob seines anachronistisch erscheinenden Duktus’ auch emotional in eine andere Zeit und an einen fremden Ort.

Fazit: Eine morbide, fesselnde Geschichte, starke und markante Charaktere sowie ein extraordinäres Artwork machen „Professor Bell“ zu einem echten Comic-Highlight.