Holly Black: Weißer Fluch (Buch)

Holly Black
Weißer Fluch
Fluchwerker 1
(The Curse Workers – White Cat, 2010)
Aus dem Amerikanischen von Anne Brauner
Titelgestaltung von Hanna Hörl Designbüro unter Verwendung einer Illustration (Motte) von Ferenc B. Regös
cbt, 2011, Hardcover, 480 Seiten, 17,99 EUR, ISBN 978-3-570-16107-4

Von Irene Salzmann

Der Schüler Cassel Sharpe entstammt einer Fluchwerker-Familie, aber er ist der einzige von ihnen, der über keinerlei magische Talente verfügt. Als Lügner, Betrüger und Einbrecher kann er manch anderen jedoch ein Schnippchen schlagen – und als Mörder. Vor drei Jahren brachte Cassel Lila Zacharov um, das Mädchen, in das er verliebt war und das sich für seinen Bruder Barron entschieden hatte. Cassel hat keine Erinnerungen an die Tat, und nur seine Familie, die ihn deckt, weiß davon.

Plötzlich geschehen Dinge, die ihn zweifeln lassen, dass alles so ist, wie er bislang geglaubt hat – wie ihn seine Brüder Philip und Barron glauben lassen. Oder warum schlafwandelt er und erwacht auf dem Dach des Internats? Warum hört seine Schwägerin Maura als einzige eine himmlische Musik und weiß wenige Tage später nicht mehr, was sie ihm anvertraut hat? Weshalb mischen die Brüder ein Schlafmittel in den Wein des Großvaters? Was halten sie vor den anderen Familienmitgliedern geheim?

Cassel beschafft sich Erinnerungssteine, um zu verhindern, dass man ihn manipuliert. Außerdem nimmt er eine weiße Katze zu sich, die zusammen mit anderen Tieren in der Scheune des alten Hauses lebte, das er und der Großvater herrichten, weil die Mutter der Jungen in Kürze aus dem Gefängnis entlassen werden soll. Die Katze mit ihren zweifarbigen Augen erinnert Cassel an Lila. Ist sie vielleicht wirklich Lila? Könnte es sein, dass ein Verwandlungswerker ihr das angetan hat und er in Wirklichkeit gar kein Mörder ist? Die Wahrheit ist noch schlimmer, als Cassel vermutet...

In Deutschland kennt man Holly Black bereits durch die „Spiderwick“-Serie, ihre „Elfen“-Trilogie und zwei „Feenland“-Comics. Neu ist nun die auf zunächst drei Bände angelegte „Fluchwerker“-Reihe.

Geschickt setzt die Autorin den Leser inmitten der Handlung aus: Hauptfigur Cassel Sharpe, aus dessen Sicht die Geschichte erzählt wird, erwacht auf dem Dach des Schulhauses aus dem Schlaf und droht in die Tiefe zu stürzen. Wie der Protagonist fragt man sich, auf welche Weise und warum er dort gelandet ist. Häppchenweise durch die weiteren Geschehnisse und Rückblenden wird das Gesamtbild zusammengesetzt. Man ahnt, dass genau das passiert ist, was Cassel lange leugnet: Er wurde und wird manipuliert, und das ausgerechnet von den einzigen Menschen, denen er Vertrauen entgegenbringt. Weshalb sie dies tun, bleibt lange ein Rätsel, wird aber in sich schlüssig erklärt. Cassel ist eines von vielen Opfern, doch weiß er genug, um sich wehren und die Pläne der anderen durchkreuzen zu können. Dabei lernt er nach und nach, die echten von den falschen Freunden zu unterscheiden.

Richtig sympathisch wird Cassel dem Leser allerdings nicht. Der junge Mann wahrt eine gewisse Distanz zum Leser, bekennt sich zu seinen schlechten Eigenschaften und eigensüchtigen Zielen, und auch dass er sich schon zu Beginn als Mörder outet, ist nicht gerade dazu dienlich, zwischen ihm und dem Publikum eine positive Beziehung herzustellen, selbst wenn man ahnt, dass dieser ‚Reißer‘ im Laufe der Handlung in ein anderes Licht gerückt wird. Viele aber nicht alle Fragen werden beantwortet, sodass man einerseits eine relativ abgeschlossene Geschichte in Händen hält, andererseits auch die Fortsetzungen lesen möchte, für die die Weichen gestellt wurden.

Mit „Weißer Fluch“ lädt Holly Black Leserinnen und Leser ab 14 Jahre ein, ihr in eine reizvolle Urban-Fantasy-Welt zu folgen, die teils vertraut, teils ungewöhnlich wirkt, viele Geheimnisse birgt und mit Charakteren aufwartet, die nicht ganz dem entsprechen, was man aus vergleichbaren Serien gewohnt ist. Hatte man bereits Spaß an den anderen Titeln der Autorin, sollte man auch diesen Bänden eine Chance geben.