Mechthild Gläser: Stadt aus Lug und Schatten (Buch)

Mechthild Gläser
Stadt aus Trug und Schatten
Titel- und Innenillustrationen von Phillip Janta
Loewe, 2012, Hardcover, 412 Seiten, 17,95 EUR, ISBN 978-3-7855-7402-7

Von Carsten Kuhr

Eigentlich ist Floras Leben ja wirklich schon kompliziert genug. Seitdem ihre Mutter sie und ihren Vater verlassen hat, Flora war da gerade einmal 7 Jahre alt, hat sie es übernommen, für ihren etwas schrulligen Dad den Haushalt zu führen.

Zwar gibt es da noch Frau Christabel, die offiziell die Position der Haushälterin bekleidet, doch die ist besser darin, sich ihre Nägel machen zu lassen, oder ihrem Kampfsport nachzugehen, als sich um das Essen oder Waschen zu kümmern. Etwas Gutes hatte ihre Kampfleidenschaft ja. Als im Spanienurlaub ein Dieb Vaters Brieftaschen stehlen wollte, hat sie den Halbstarken so vermöbelt, dass der in Zukunft das Stehlen sicherlich Anderen überlassen wird.

Zurück zur Geschichte. Floras Vater, ein angesehener Spezialist für Zierfische, hat die heimatliche Wohnung verbarrikadiert wie Fort Knox. Alarmanlagen, High-Tech, Lichtschranken und Stahlgitter schützen … ja, was eigentlich? Nie durfte Flora auch nur eine Freundin mit nach Hause bringen, da taucht aus dem Nichts Marian, ein finnischer Austauschschüler, auf und wird im Allerheiligsten, Vaters Arbeitszimmer, einquartiert. In derselben Nacht wacht Flora plötzlich in einer Welt auf, die alle Schläfer besuchen, an die sie aber keine Erinnerung behalten.

Eisenheim, eine Welt, in der einige Wenige, Wandelnde genannt, bei Bewusstsein sind, von der Hände Arbeit der Masse der Schläfer im Kampf gegen das Nichts gut und luxuriös leben, eine Welt aber auch, in der sie, ohne jetzt noch davon zu wissen, etwas Undenkbares begangen hat – sie hat den weißen Löwen einen Stein voller besonderer Kräfte gestohlen und versteckt. Dass sie selbst keine Erinnerung daran hat, wo sie den Stein gelassen hat, macht sie für die Parteien, die um den Stein kämpfen nur noch interessanter.

In ihrem Bett findet sie einen Brief, den sie an sich verfasst hat mit der eindringlichen Warnung, nur ja Niemandem zu trauen. Dabei fühlt sie sich zu Marian hingezogen, entpuppt sich ihr Vater als ein wichtiger Mann Eisenheims und buhlt der Kanzler um ihre Gunst. Und wenn sie nicht freiwillig bereit ist, sich unterzuordnen, dann gibt es immer noch die Schattenkämpfer auf ihren geflügelten Rossen, die sie verfolgen…

Auch wenn der entsprechende Hinweis auf dem verlagsseitigen Waschzettel fehlt, liegt einmal mehr der Auftakt einer Trilogie vor uns. In ihrem Debütroman nimmt sich die Autorin einer Idee an, die so einfach und einleuchtend daherkommt, dass man sich wundern muss, dass bislang noch kein anderer Autor diese aufgegriffen hat. Eine Welt des Traumes, in der die Träumenden ausgebeutet werden, in der einige wenige Wache einmal mehr von der Ausnutzung ihrer Mitmenschen leben – gut leben.

Das ist ebenso wie der Aufbau der Erzählung – zwei Jugendliche, die sich zunächst nicht recht leider können, raufen sich im Verlauf des Abenteuers zusammen, verlieben sich ineinander und machen sich an die Aufklärung der Rätsel – nicht wirklich neu oder unerprobt. Was den Roman (ich wiederhole es gerne: immerhin ein Erstlingswerk) aus der Masse der Neuscheinungen heraushebt, das ist die Fähigkeit der Autorin, atmosphärisch dicht zu schreiben.

Sowohl die Handlung in unserer realen Welt als auch der Part der in Eisenheim angesiedelt ist präsentieren sich dabei fesselnd und stimmig. Die reale Ebene zeigt uns eine untypisch und doch wieder typische Jugendliche, die aufgrund ihres Schicksals gezwungen war, früh Verantwortung zu übernehmen, selbstständig zu werden, die aber auch in ausgedehnten Shopping-Touren mit ihrer Freundin aufgeht, ihre Probleme mit Jungs hat – zumal wenn die nicht begreifen wollen, dass sie nicht mehr als Freundschaft will – die in Ballet und Schule gefordert wird. Anders, ganz anders dann die Traumebene. Hier bietet sich das Setting düster, grau und gruselig an, ohne dass das unglaubwürdig wäre. In einem Wechselbad der Gefühle irrt unsere Erzählerin hier herum, weiß bis zum vorläufigen Finale nicht wirklich, wem sie trauen kann, wer sie nicht nur ausnutzen will. Selten konnte ich mich so mühelos in einer Person hineinversetzen, mit ihr bangen und hoffen, aber auch ihre hilflose Wut nachvollziehen. Zwar hat die Autorin ein paar Anfängerfehler begangen, einige logische Ungereimtheiten wurden beim Lektorat übersehen, die aber den eigentlichen Plot nicht wirklich stören.

Ein beeindruckendes Debüt, stilistisch sehr angenehm zu lesen voller einprägsamer Bilder, das mich gespannt zurück, und auf den zweiten Teil warten lässt.