Perry Rhodan NEO 1: Sternenstaub, Frank Borsch (Buch)

Perry Rhodan NEO 1
Sternenstaub
Frank Borsch
Cover: Dirk Schulz
VPM, 2011, Taschenheft mit Klappenbroschur, 164 Seiten, 3,99 EUR (auch als eBook erhältlich)

Von Oliver Naujoks

„Die Zukunft beginnt von vorn“ steht auf dem Cover und beschreibt damit kurz und ziemlich genau, was einen mit diesem Band der neuen Serie „Perry Rhodan NEO“ erwartet. Anders als die Erstauflage der Serie erscheint diese Serie aber nicht im Heftroman, sondern im 'Zwitter-Produkt' Taschenheft, irgendwo also zwischen Taschenbuch und Heftroman, vertrieben und verkauft ebenfalls in der Regel über die Zeitschriften-Schiene, nicht im Buchhandel. Schon auf den ersten Blick fällt auf, dass man sich mit der Gestaltung dieses Bandes sichtbar Mühe gegeben hat, die glänzende Klappenbroschur macht was her und wird dem Verkauf dieses Auftaktbandes sicherlich förderlich sein.

Zum Umfang kann man nur grobe Schätzungen anstellen, der Band enthält 161 Seiten und dürfte ungefähr anderthalb Mal so lang sein wie ein Heftroman in den sechziger Jahren und knapp doppelt so lang wie ein heutiger Heftroman, der in der Regel mit deutlich weniger Zeichen auskommt als die Romane vor Jahrzehnten. Wie der zusätzliche Raum dieses Auftaktbandes gefüllt wird, dazu später mehr.

Der Gedanke lag schon seit vielen Jahren nahe: Nach fünfzig Realjahren, mehreren tausend Handlungsjahren und einem Seitenberg im sechsstelligen Bereich wird es wohl kaum noch jemanden geben, der die „Perry Rhodan“-Serie ganz von vorne beginnt und jedes einzelne Produkt dieser Serie lesen wird. Dies wäre eine Aufgabe für mehrere Jahrzehnte ausschließlicher Beschäftigung mit dieser Serie. Macher und Fans erwecken zwar aus nahe liegenden Gründen regelmäßig den Eindruck, dass der Einstieg in die laufende Seriehandlung eigentlich leicht sei, trotzdem müssen gerade Neulinge erst einmal die mentale Hürde überwinden, dass sie sich zumindest theoretisch mit einem „Perry Rhodan“-Heft einen Handlungsballast von nicht mehr zählbaren Bruttoregistertonnen ans Bein binden, auch wenn man natürlich dieses Vorwissen nicht im Detail für jedes Heft benötigt. Fairerweise muss man feststellen, dass man zumindest in die aktuelle Handlung in der Regel nach wenigen Monaten Lektüre hinein kommt und sich dann darin orientiert fühlt, auch wenn einem so weiterhin viele Anspielungen auf weitergehende Fakten der Serie entgehen, die die Fans so gerne diskutieren.

Da das Reboot genannte Konzept im Kino (beste Beispiele für SF-Fans der letzten Jahre: J. J. Abrams’ „Star Trek“-Film, die „Batman“-Filme von Christopher Nolan) seit Jahren höchst erfolgreich reüssiert, Fans von Serien nicht weitere Folgen mit immer höheren Nummern anzubieten, sondern diese Serien von vorne zu beginnen und in der Erzählung dann abzuweichen, fasste nun auch die „Perry Rhodan“-Redaktion diesen Mut und startete die Serie, siehe den ersten Satz oben, von vorne. Das Wort Mut ist dahingehend keinesfalls übertrieben, die Serie hat sehr viele Alt-Fans die peinlichst genau und manchmal eifersüchtelig darüber wachen, dass die Geschlossenheit des gewaltigen „Perry Rhodan“-Kanons und -Kosmos auch ja gewahrt bleibt. Entsprechend groß war das Geschrei in einigen Zirkeln auch, als verkündet wurde, dass man es wagen würde, die Serie von vorne neu zu erzählen, was von diesen Fans als häretisches Kanon-Umschreiben aufgefasst wurde.

Der erste Roman der Serie, „Unternehmens Stardust“ von Karl Herbert Scheer, erschien am 8. September 1961. Im Jahr 1978 erschien dieser Roman bereits einmal überarbeitet durch William Voltz in den so genannten Silberbänden, also der Neuauflage der alten Heftromane in bearbeiteter Form (stilistisch durchgesehen, inhaltlich geglättet) im gebundenen Buch. Nach der Lektüre des ersten „Perry Rhodan NEO“-Romans kann man feststellen, dass zumindest dieser erste Band eher ein Remake von „Unternehmen Stardust“ ist, denn eine gänzliche Neuschreibung. Zwar wird die Handlung in das Jahr 2036 verlegt, so dass diesmal nicht die erste Mondexpedition stattfindet wie damals in Band 1 im Serienjahr 1971, und natürlich hat ein Technik-Update stattgefunden, ansonsten wird aber schon die gleiche Handlung erzählt.

Astronaut Perry Rhodan und seine Gefährten Reginald Bull, Bordarzt Eric Manoli und Clark G. Flipper fliegen mit einer Rakete zum Mond und stoßen auf die zwar technisch unendlich weit überlegenen, aber trotzdem dort havarierten Arkoniden Crest und Thora in ihrem gigantischen Raumschiff. Gerne würde Perry Rhodan diese technischen Mittel einer geeinten Menschheit zur Verfügung stellen. Die Möglichkeit für ihn ergibt sich dadurch, dass Crest schwer an Leukämie erkrankt ist und somit auf die Hilfe der Menschen angewiesen ist. Dass die mächtigen Regierungen der Erde, insbesondere die USA, ein zaristisches Russland und die „Volksgenossen“ aus China, nicht eben angetan davon sind, dass ihnen hiermit eine neue, unbekannte, weit überlegene Macht als Mitbewerber erwächst, bedarf nicht näherer Erläuterung, so dass Perry Rhodan auf seinem Rückflug zur Erde nicht eben mit offenen Armen empfangen werden wird.

Frank Borschs „Sternenstaub“ folgt in der Handlung teilweise verblüffend genau dem 50 Jahre alten Scheer-Roman und hakt eigentlich alle wesentlichen Markierungspunkte der damaligen Handlung auch noch einmal ab. Der Vorwurf mangelnder Originalität verbietet sich, schließlich wird aus dem Konzept gegenüber den Lesern kein Hehl gemacht – dass man der damaligen Handlung aber so genau folgt, lässt schon Fragen aufkommen. Sicherlich ist Karl-Herbert Scheers Roman heute insbesondere sprachlich eher veraltet, die Unterschiede zu der überarbeiteten Fassung im Silberband und diesem Auftakt sind dann aber doch spürbar geringer. Neben diversen Kleinigkeiten wie die, dass die Auftaktszene nun aus Sicht unserer Astronauten und nicht aus der Kommandozentrale erzählt wird, und dass eine zusätzliche Bombe an Bord der Mondrakete geschmuggelt wird, ist der größte Unterschied zwischen den beiden Auftaktromanen, dass „Sternenstaub“ noch eine weitere Handlungsebene enthält, die offensichtlich bereits jetzt das Mutantenkorps aus den Anfängen der Serie einführen soll. Die erstaunlichen Fähigkeiten der Mutanten wie Telekinese und Teleportation wurden in den Romanen vor 50 Jahren durch Atomstrahlung erklärt. Da es sich im Deutschland des Jahres 2011 aber wie von selbst verbietet, irgendetwas Positives im Zusammenhang mit dem Wort Atom zu schreiben, werden die Mutanten diesmal anders eingeführt: Hauptfigur dieser Handlung ist John Marschall, der diesmal wohl nicht Telepath ist, wie in den alten Romanen, sondern der einen Shelter für in sozial schwierigen Umständen aufgewachsenen Jugendlichen betreibt, in einem Elendsviertel, nein nicht in Rio de Janeiro, sondern in Houston, Texas (wo man mit jugendlichen Delinquenten sehr ruppig umspringt, wie uns der Autor noch einmal erinnert) und dessen finanzielle Mittel langsam auslaufen. Unter seinen Schützlingen scheint es einen Jungen mit besonderen Fähigkeiten zu geben. Wie gesagt, diese zusätzliche Handlungsebene ist der größte Unterschied zwischen dem Scheer- und dem Borsch-Roman und wohl tatsächlich vor allem der Tatsache geschuldet, dass Borsch einfach mehr Platz zur Verfügung hatte, so dass er die Einführung der Mutanten, die in den alten Romanen erst später geschah, etwas vorverlegen konnte.

Das sklavische Abwechseln der Handlungsebenen durch die Kapitel geht einem beim Lesen teilweise sogar fast auf die Nerven und es wäre sogar fatal, weil es die Geschlossenheit der Mondlandungshandlung ordentlich schleift, wenn die Shelter-Handlung nicht verhältnismäßig gut und interessant geschrieben wäre. Der große Kontrast zwischen einer außerweltlichen Mondlandungshandlung und einer sehr irdischen Sozialarbeiter-Handlung bleibt zwar nach wie vor, dies fällt aber bei der kurzweiligen und flüssigen Lektüren nicht störend ins Gewicht.

Was die Verlegung der Handlung vom Jahr 1971 ins Jahr 2036 angeht, ist zu konstatieren, dass diese erstaunlich wenig ins Gewicht fällt. Zumindest technisch spürt man sie fast gar nicht und auch politisch hält sich der Unterschied in Grenzen, da nach wie vor von den Machern davon ausgegangen wurde, dass man drei zunächst feindselige irdische Mächte auf der Erde braucht. Inwiefern der Serie hier eine gelungene Extrapolation in die Zukunft gelingt, kann jetzt noch nicht festgestellt werden, dafür ist der politische Hintergrund zumindest in diesem ersten Band, schlicht aus Platz und Tempogründen, noch zu diffus. Sonderlich überzeugend wirkt er aber leider nicht, denn wenn Vertreter aus einem zaristischen Russland und Volksgenossen aus China abfällige Sprüche über amerikanische Kapitalisten von sich geben, begibt sich der Autor in Freund-Feind-Schemata aus dem Kalten Krieg, die besser in die sechziger und siebziger Jahre gepasst hätten (war nicht ein Update das Ziel?) Und blendet wohl völlig aus, dass der Kapitalismus gerade in Russland und China doch in den letzten beiden Jahrzehnten mehr als Einzug hielt, ja, Triumphe dort feierte und es eigentlich eher wahrscheinlich ist, dass Russland und China die USA dahingehend überflügeln.

Wenig zukunftsgewandt und eher dem bundesrepublikanischen juste milieu des Jahres 2011 geschuldet sind immer wieder anklingende amerika-‚kritische’/feindliche Ressentiments: Die finstersten Bösewichte des Romans handeln natürlich für die Homeland Security, ein Verweis auf die Eroberung der amerikanischen Ureinwohner darf nicht fehlen, und es ist sicherlich kein Zufall, dass Perry Rhodan im Update der unter Fans berühmt gewordenen Schlussszene des Ursprungs-Romans nicht die Schulterstücke seiner Kombination abreißt, sondern nunmehr eine amerikanische Flagge und diese achtlos fallen lässt. Dies ist leider ungleich schwächer als in den Scheer-Roman, denn während bei Borsch eher zum Tragen kommt, dass Perry Rhodan kein Amerikaner mehr sein möchte, versinnbildlicht die Schlussszene im Originalroman von 1961 viel mehr, dass Perry Rhodan nicht nur den amerikanischen, sondern sämtlichen irdischen Kommandostrukturen entsagte. Vielleicht kann man es dem Autor auch einfach nicht übel nehmen, dass er der Versuchung nicht widerstehen konnte, dass das Abreißen gerade einer US-Flagge in einigen Kreisen der Fans für Beifall sorgen würde, ist „Perry Rhodan“ doch heutzutage wie die „Lindenstraße“ eher eine Heimat für linksalternative Fans.

Was taugt der Roman nun aber an sich? Hier kommt man zu einem zwar positiven, aber auch etwas ernüchternden und traurig machende Fazit: Der Auftaktband von „Perry Rhodan NEO“ macht auf jeden Fall Lust auf mehr, hier sind also schon mal Pluspunkte einzubuchen, gleichzeitig ist er aber, und das ist schon deprimierend, erzählerisch schwächer als der Scheer-Roman vor 50 Jahren. Etwas schief wäre es, beide Romane stilistisch zu vergleichen, natürlich ist der Scheer-Roman heute etwas veraltet und, gerade wenn man ihn im Original und nicht in der Bearbeitung von Voltz liest, nicht ohne eine ganze Anzahl an gestelzten Stilblüten und verqueren Formulierungen. Aber auch der Borsch-Roman ist nicht ohne Misslichkeiten, insbesondere immer wieder alles andere als elegante Relativ-Satzkonstruktionen stören manchmal den Lesefluss.

Viel schwerer wiegt aber, dass der Roman einige erzählerische Elemente enthält, die einfach nicht überzeugen wollen. Dies gilt insbesondere für zwei zusätzlich in die Handlung im wahrsten Sinne des Wortes eingebaute Bomben; diese Szenen sollen jetzt nicht kleinteilig-erbsenzählerisch zerpflückt und deshalb hier nur festgestellt werden, dass beide erzählerisch entsetzlich unmotiviert und aufgesetzt wirken, in einem Fall sogar so völlig fehl am Platze, dass man sich wirklich wundern darf, dass das Lektorat diese nicht im wahrsten Sinn des Wortes entschärfte. Auch gelingt es diesem Roman weniger als dem fünfzig Jahre alten Original, dem Leser richtig zu verdeutlichen, warum das Schiff der Arkoniden eigentlich nicht wieder wegfliegen kann und vor allem, warum eine so überlegene Rasse nicht mit einer Krankheit wie Leukämie fertig wird. Hier kommt natürlich hinzu, dass in den letzten fünfzig Jahren, die zwischen den beiden Romanen liegen, wir wie selbstverständlich von wichtigen medizinischen Fortschritten ausgehen, so dass wir es heute einfach noch weniger glauben wollen, dass ein so technisch überlegenes Volk wie die Arkoniden mit einer Leukämie nicht fertig wird. Die hierfür gelieferte Motivation, dass die Schiffsbesatzung sich wie im alten Roman „Fiktivspielen“ (ein extrem schwaches, diffuses technisches Update ohne jegliche erzählerische Phantasie) hingibt und keine Lust hat, dem hoch angesehenen Crest zu helfen, überzeugt genausowenig wie die Tatsache, warum die Arkoniden nicht einfach eine Spritze gegen Leukämie haben, bei ihrer Überlegenheit.

Fast ärgerlich sind andere kleine Fehler des Autors, vor allem in der Sympathieführung, die Karl-Herbert Scheer damals nicht passierten: So wird in einem Nebensatz erwähnt, dass Crest und Tora wohl verschollene Angehörige einer Mondbesatzung (um diese wiederzufinden war Perry Rhodan ursprünglich am Anfang des Romans aufgebrochen) einfach umgebracht haben und dies ist Perry Rhodan und Reginald Bull nicht mal eine richtige Replik wert. Hier die Arkoniden als kaltblütige Mörder darzustellen, bringt die Sympathie-Führung gefährlich aus der Balance – und das kann der Autor auch nicht dadurch kaschieren, dass er danach einfach nicht mehr darauf eingeht.

Könnte man dies alles angesichts einer unterhaltsamen und kurzweiligen Handlung durchaus nachsehen, verspielt der Roman gegen Ende einige Sympathien, weil man hier allzu deutlich spürt, dass dem Autor die Seiten ausgingen. So ist die die-John Marshall-Handlung abschließende Actionszene reichlich wirr geraten, man versteht hier eigentlich gar nicht, was hier passiert, das ist handwerklich leider einfach schlecht. Ferner kommt es dem Roman nicht unbedingt zugute, dass Perry Rhodans Motivation, die Menschheit mit Hilfe der arkonidischen Technik zu einigen, in diesem Roman am Ende kaum erklärt wird und wohl in die nächsten Romane ausgelagert wurde. Insofern wirkt die Schluss-Szene eigenartig deplatziert, fast möchte man auf den schlimmen Gedanken kommen, dass der Autor entsprechendes Wissen bei seinen Lesern aus den ursprünglichen Romanen voraussetzt! Obwohl „Perry Rhodan NEO“ ja gerade auch Neuleser ansprechen sollte. Gerade, dass Scheer dieses in „Unternehmen Stardust“ deutlicher herausgearbeitet hatte, machte die Schlussszenen so stark, insofern verfehlt die entsprechende Szene im Reboot, in welcher Perry Rhodan irdischen Kommandostrukturenstrukturen den Rücken kehrt, dann auch ziemlich ihre Wirkung.

Kommen wir zum Schluss. Trotz stilistischer Mängel und durchaus größerer Misslichkeiten in der Handlungsführung ist „Sternenstaub“ ein durchaus kurzweiliger und unterhaltsamer Roman, der Lust auf mehr macht. Dies gilt insbesondere auch und gerade für die Altleser der Serie, denn natürlich macht es Spaß, die jetzige Handlung mit den damaligen Romanen zu vergleichen, auch und gerade weil sich nicht allzuweit von den Vorgaben entfernt wurde. In diesem Auftaktband zumindest.

Auch wenn man angesichts dieses Auftaktbandes nicht in Jubel ausbricht und sofort ein Abonnement abschließen möchte, gibt man „Perry Rhodan NEO“ doch gerne eine Chance und wird dann wohl erst nach weiteren Bänden endgültig feststellen können, ob man dranbleibt. Auch wenn der Funke der Begeisterung noch nicht richtig überspringt, ist diese erneute Initialzündung der Serie alles andere als eine Fehlzündung. Perry Rhodan ist erneut erfolgreich auf dem Mond angekommen. Auf seinem Weg zu den Sternen, die ihn im Schlusssatz des Romans erwarten.