Kathryn Wesley: Das Zehnte Königreich (Buch)

Kathryn Wesley
Das Zehnte Königreich
(The Tenth Kingdom: Do You Believe in Magic?, 2000)
Aus dem Amerikanischen von Frauke Meier
Piper, 2011, Taschenbuch, 526 Seiten, 9,95 EUR, ISBN 978-3-492-26780-9

Von Britta van den Boom

Virginia lebt – mehr schlecht als recht – mit ihrem Vater in New York City, bis sie eines Tages im Central Park einen Hund anfährt. Dieser ist in Wirklichkeit der verwandelte Prinz eines Märchenkönigreichs, der von seiner bösen Stiefmutter aus dem Weg geräumt werden sollte und im letzten Moment durch einen magischen Spiegel in unsere Welt flüchten konnte – verfolgt von Trollen und einem Wolfsmenschen, die ihn um jeden Preis wieder einfangen sollen.

Bald schon zwingen die Ereignisse Virginia und ihren Vater, zusammen mit Prinz Wendel in dessen Welt zu fliehen, in ein Reich, in dem alle Märchen Wirklichkeit sind, mit all ihrem Zauber, ihren bizarren Gestalten und auch ihrer Grausamkeit. Da zudem die Glanzzeit der Märchenkönigreiche zu Ende ist und die böse Königin die Regentschaft an sich reißen will, bietet die andere Welt mehr Schrecken, als Virginia gedacht hätte – aber auch Raum für eine außergewöhnliche Liebe.

Die Idee, ein Reich voller Märchenfiguren und Sagenzitaten lebendig werden zu lassen, klingt vertraut, und sie wird hier konsequent, wenn auch collagenhaft umgesetzt, gemischt mit Elementen unserer eigenen Wirklichkeit, die das Land hinter dem Spiegel zuweilen unangenehm realistisch machen. Dabei will „Das Zehnte Königreich“ keine mystische Geschichte weben, sondern einfach und wenig tiefgründig unterhalten.

Es wirkt so, als würde der Stil die spätere Verfilmung bereits vorausnehmen, denn die Szenen sind kurz und prägnant, es gibt keinen Raum für ausführliche Beschreibungen von Umgebungen oder Stimmungen, immer nur so weit, wie es für die Handlung notwendig ist. Der Schreibstil ist konkret und meistens sehr unpoetisch, knapp und dem raschen Erzähltempo angepasst, in dem nur gelegentlich die Ausflüge in die Gefühlswelten der Hauptfiguren unerwartete Verlangsamung bringen.

Die Charaktere, als Sagenfiguren ohnehin schon Archetypen, bekommen oft einen cartoonhaften Anstrich, wie zum Beispiel die eigentlich ebenso gefährlichen wie brutalen Trolle, die als unfreiwillige Klamauktruppe durch die Reiche ziehen und einen Schuhfetisch haben, der in seiner wiederholten Beschreibung immer mehr an Unterhaltsamkeit verliert.

Einige Episoden, wie der Besuch der Helden in einem unendlich idyllischen Dorf voller hübscher Schäferinnen, was gerade für den Werwolf in der Gruppe eine echte Herausforderung darstellt, sind amüsant und überraschend. Andere, wie die Geschehnisse in der Stadt ‚Kissing Town‘, die Schneewittchens Erweckungskuss hochleben lässt, sind von einer nahezu ‚disneyhaften‘ Aufdringlichkeit, die zwar so gewollt ist, derer man trotzdem rasch überdrüssig werden kann.

So wechselt der Eindruck, den das Buch hinterlässt, sehr stark zwischen innovativer Unterhaltung und allzu plakativer Märchen-Zitaten-Drescherei, zwischen angenehm geschriebenen Sequenzen und übertrieben brutal-beiläufigem Schenkelklopf-Humor, zwischen interessanten Charakteren und extrem flachen Schablonenfiguren. Vielleicht liegt das darin begründet, dass sich hinter dem Pseudonym Kathryn Wesley tatsächlich zwei Autoren – Kristine Kathryn Rusch und Dean Wesley Smith – mit möglicherweise sehr unterschiedlichen Stilen und Vorlieben verbergen.

Somit ist „Das Zehnte Königreich“ trotz seines insgesamt unstimmigen Eindrucks unterhaltsam, ein Roadmovie in einem auf modern getrimmten Reich der Märchen, zumeist sehr rasant und mit einigen guten Ideen darin, jedoch selten innovativ oder gar berührend. Wer eine romantische Geschichte in der Welt der Sagen und Legenden erwartet, wie der Klappentext andeutet, wird enttäuscht werden. Doch wer sich mit flott geschriebener, teil humoristischer, teils blutiger Märchen-Action anfreunden kann, wird mit „Das Zehnte Königreich“ zufrieden sein.