Shannon McKenna: Die Nacht hat viele Augen – McCloud Brothers 1 (Buch)

Shannon McKenna
Die Nacht hat viele Augen
McCloud Brothers 1
(Behind Closed Doors, 2002)
Aus dem Amerikanischen von Isabell Bauer
Titelgestaltung von HildenDesign unter Verwendung mehrerer Motive von Shutterstock
Lyx, 2010, Taschenbuch mit Klappenbroschur, 528 Seiten, 9,95 EUR, ISBN 978-3-8025-8330-8

Von Irene Salzmann

Raine Cameron möchte den Tod ihres Vaters aufklären und schleicht sich als Sekretärin in die Firma ihres Onkels Victor Lazar ein, den sie für den Verantwortlichen hält. Sie ahnt nicht, dass er über jeden ihrer Schritte informiert ist und sie prüfen will, denn er hütet ein Geheimnis, das auch sie betrifft und mit dem sie niemals gerechnet hätte.

Auch der Sicherheitsexperte Seth Mackey will sich an Lazar rächen, der schuld am Tod von Seths jüngerem Bruder ist. Die Begegnung mit Raine wirbelt alle seine Pläne durcheinander, denn er ist ihr vom ersten Moment an mit Leib und Seele verfallen, und Raine erwidert seine Gefühle. Allerdings sprechen die beiden nicht über ihre Vorhaben, was zu Missverständnissen und Misstrauen führt...

Kurz: Hübsches Häschen verknallt sich in rüden Rammler, beiden rutscht das Hirn zwischen die Beine, und wenn sie nicht gestorben sind, dann ramm... Wer etwas anderes erwartet, wird bitter enttäuscht.

Die Krimihandlung ist äußerst dünn und nimmt maximal 10 % des Buchs ein, die übrigen 90 % teilen sich gleichrangig das endlose Gelaber beziehungsweise die Reflexionen der beiden Hauptfiguren und die deftigen, sehr expliziten erotischen Szenen. Tatsächlich liefern die Krimi-Elemente lediglich das Gerüst für eine leidenschaftliche Liebesgeschichte, die eher in die Allgemeine Reihe oder zu den Erotika gehört.

Getrieben von Albträumen und ihrer Intuition will eine junge Frau den Mord an ihrem Vater aufklären. Ohne einen Plan zu haben, nimmt sie einen Job in der Firma ihres Onkels, den sie für den Täter hält, an. Natürlich weiß er genau, was sie im Sinn hat und offeriert sie einem Sicherheitsexperten als Gespielin, um die Nichte zu testen und gleichzeitig die Achillesferse des Mannes, den er anzuheuern erwägt, zu finden. Obwohl dieser das böse Spiel durchschaut, lässt er sich darauf ein, und im Handumdrehen landen die beiden im Bett, denn die Beinahe-Jungfrau hat sich in den Bad Boy verliebt und umgekehrt. Statt ihre Ziele weiter zu verfolgen, lenken sie einander ab, und als die Situation eskaliert, müssen mehr oder weniger andere die Kastanien aus dem Feuer holen. Ein paar Familiengeheimnisse und Seilschaften werden aufgedeckt, bevor das vorhersehbare Ende den Leser erlöst – falls er nicht schon nach wenigen Seiten das Buch genervt in die Ecke warf.

Genauso dürftig wie die Handlung ist die Ausarbeitung der Charaktere, die auf klischeehafte Eigenschaften reduziert wurden: die schöne, scheue, doch so leidenschaftliche und später selbstbewusste Raine, die plötzlich sogar weiß, wie man mit einer Waffe umgeht; der attraktive, erfahrene, dominante, unermüdliche, bestens bestückte Seth, der unsensibel wie die Axt im Walde holzt, sich unprofessionell und wie ein verzogener, unreifer Bengel benimmt; die alternden, wenig anziehenden, bösen, perversen Gegenspieler und so weiter. In erster Linie definieren sich alle über ihre Sex-Spiele, denen die Autorin fast ihre ganze Aufmerksamkeit widmet, so dass nichts mehr der Phantasie überlassen bleibt. Ihre vulgäre Sprache dürfte selbst an die Grenzen jener Leserinnen stoßen, die gern erotische Romane lesen und das Drumherum als vernachlässigbar erachten.

Bislang veröffentlichte Lyx Fantasy und Paranormal Romances. Vor kurzem öffnete sich das Egmont-Label auch dem Romantic Thrill, um den Leserinnen ‚realistischere‘ Traummänner als Vampire, Werwesen etc. zu bieten, doch findet man unter diesem Begriff weniger Thrill als Romantik und vor allem Erotik. Wer Letzteres lesen möchte und sich auch an den derben Beschreibungen nicht stört, wird von „Die Nacht hat viele Augen“ bestens bedient. Legt man hingegen Wert auf eine nachvollziehbare Handlung und vielschichtige Charaktere, auf Spannung und Überraschungen, wobei man die Romanze als Extra-Würze mitnimmt, sollte man von diesem Titel besser die Finger lassen und gewarnt sein, denn Shannon McKenna hat den McCloud-Brüdern noch sechs weitere Bände gewidmet ...