Philip K. Dick: Electric Dreams (Buch)

Philip K. Dick
Electric Dreams
Übersetzung: Klaus Timmermann, Ulrike Wasel, Bela Wohl, Thomas Mohr
Fischer, 2018, Taschenbuch, 240 Seiten, 12,00 EUR, ISBN 978-3-596-90670-3 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Gunther Barnewald

Dieses Taschenbuch versammelt die zehn Vorlagen der neuen US-amerikanischen Serie „Philip K. Dick’s Electric Dreams”, also zehn kürzere Texte des begnadeten und längst verstorbenen US-amerikanischen SF-Autors.

 

Mit Ausnahme von Robert Sheckley hatte wohl kein anderer SF-Autor einen dermaßen großen Ausstoß qualitativ hochwertiger kürzerer Erzählungen, wie dies bei Dick der Fall war.

Während in Dicks Romanen oft die wenig ausgearbeiteten Charaktere stören und er sich zu sehr auf ein Thema konzentrierte, welchem die Ausarbeitung auf mehreren hundert Seiten deutlich abträglich war, sind Dicks Kurzgeschichten auch aus heutiger Sicht noch oft perfekte und mit frappierenden Ideen vollgestopfte Meisterwerke, die einen auch bei erneutem Lesen immer wieder in den Bann ziehen.

Deshalb verwundert es nicht, dass diese zehn Erzählungen, die übrigens alle zwischen 1953 und 1955 veröffentlicht wurden, auch heute noch meistenteils sehr zu gefallen wissen beim Lesen.

Vor allem Psi-Fähigkeiten und psychische Erkrankungen (und damit die allgegenwärtige Frage: „Was ist Realität?”) erweisen sich als Steckenpferd des Autors, was den kundigen Leser natürlich nicht verwundert, da der Autor selbst offensichtlich an einer Psychose erkrankt war, welche durch seinen Drogenkonsum gefördert wurde.

Bei einer psychotischen Erkrankung kann das Gehirn nicht länger zwischen Realität und Halluzinationen unterscheiden, welche immer wieder auftreten (Stimmen hören, Fehlwahrnehmungen aller Art, Wahnzustände etc.) und als völlig real erlebt werden. Dicks Werk baut sich fast völlig auf der Erforschung der Realität und der Frage nach der Existenz und geistigen Gesundheit des Einzelnen auf. Menschen, die sich als Androiden erweisen, Realität, die zerbricht, scheinbar gesunde Menschen, die sich als psychotisch erkrankt erweisen oder sogar durch Psi-Fähigkeiten die Möglichkeit haben, ihre Wahnvorstellungen wahr werden zu lassen.

Und immer wieder der Glaube an paranormale Fähigkeiten, die vieles „naturwissenschaftlich” und rational erklären würden, was Psychotikern (und nicht wie hier fälschlich von Klaus Timmermann und Ulrike Wasel in der ersten Story „Ausstellungsstück” falsch übersetzt „Psychoten”; dieser Begriff existiert meines Erachtens nach gar nicht und war schon in der Erstausgabe bei Haffmans ein Ärgernis, wird hier jedoch wohl deswegen verwendet, weil man die alten Übersetzungen unkritisch einfach weiter verwendet!) in sogenannten floriden (also aktiven) Erkrankungsphasen zustößt. Dies ist typisch für den Autor und seine Auseinandersetzung mit seiner eigenen Erkrankung. Heraus kommen dabei zumeist hervorragende Geschichten.


So auch gleich die erste in diesem Band, die im Original „Exhibit Piece” heißt (hier „Ausstellungsstück”). Der Kurator in einer fernen, diktatorischen Zukunft, welche den Menschen kaum noch Freiheiten lässt, entdeckt in seiner Ausstellung über die 1950er Jahre eine Art Zeittor, das ihn nicht nur in diese Zeit versetzt, sondern auch nahelegt, dass er schon immer dort gelebt hat, warten hier doch seine Frau, seine beiden Söhne, sein Job und ein wohl geregeltes Leben in Freiheit auf ihn.

Während sich in „Der Pendler” („The Commuter”) die Vergangenheit als variabel erweist, weshalb nach und nach ein neuer städtischer Außenbezirk entstehen kann, den es früher nicht gab (auffällig dadurch, dass immer mehr Pendler Fahrkarten für diesen Bezirk haben wollen und dorthin reisen), schildert „Der unmögliche Planet” („The Impossible Planet”) die Suche nach dem Mythos eines fernen Planeten namens Erde, den es dereinst gegeben haben soll, der aber heute nur noch als Märchen gilt. Da eine reiche alte Frau jedoch hierhin reisen möchte und viel dafür bezahlt, macht es ein Raumfahrer möglich...

Und während „Der Gehenkte” („The Hanging Stranger”) von einer gruseligen Alien-Invasion berichtet (wer Jack Finneys Klassiker von den „Body Snatchers” also den „Körperfressern” oder deren Verfilmungen kennt, weiß schnell, worum es geht; mal wieder nehmen Fremde menschliche Gestalt an), zeigt „Eine todsichere Masche” („Sales Pitch”) auf, welche Verheerungen der entfesselte Turbokapitalismus durch zügellose Verkaufswerbung anrichten kann (vielleicht die grauenvollste Welt, die Dick jemals entwarf!).

„Das Vater-Ding” („The Father-Thing”), die meiner Einschätzung nach schwächste Geschichte in dieser Sammlung, variiert eher ermüdend und wenig glaubwürdig nochmals die Erzählung der „Körperfresser”, diesmal aus der Sicht eines Jugendlichen.

In „Der Haubenmacher” („The Hood Maker”), ebenfalls einer eher schwächeren Story, drohen Telepathen die Macht über alle Menschen zu übernehmen und werden erst in allerletzter Sekunde (dann aber recht clever vom Autor konstruiert) gestoppt.

In „Foster, du bist tot” („Foster, You´re Dead”), einer seiner besten Kurzgeschichten, erzählt Dick die herzzerreißende Geschichte eines Schuljungen, dessen Vater sich Anfang der 70er Jahre (geschrieben 1953, erschienen 1955) weigert, dem allgemeinen Konsumzwang nachzugeben. Durch die allgemeine nukleare Bedrohung des Kalten Kriegs sind nämlich persönliche Bunker für jede Familie in Mode gekommen. Diese müssen selbstverständlich ständig der neuesten Waffentechnologie angepasst und damit nachgerüstet werden. Auf diese Weise sind die Menschen gezwungen, ständig Neuerungen zu kaufen und einbauen zu lassen. Leider kann Mike Fosters Vater sich dies nicht leisten und verweigert sich deshalb hartnäckig einem eigenen Familienbunker, verwehrt dem Jungen auch eine Eintrittsmarke für den Schulbunker und den öffentlichen Bunker. Damit wird sein Sohn zum Ausgestoßenen, zum potentiellen Opfer eines Atomkrieges, dem die Mitschüler mit Hohn und Spott nachrufen, während die Erwachsenen Mitleid mit ihm haben. Dick nimmt hier auf beklemmende Art den Konsumwahn voraus, der den heutigen Kids gebietet, welche Schuhe, Klamotten und Accessoires (vor allem Elektronik) sie zu besitzen haben, um „in” zu sein und nur dadurch dazuzugehören. Genauso ergeht es dem armen Mike Foster, bis sein Vater endlich doch nachgibt. Aber Dick wäre natürlich nicht er selbst, beließe er es bei diesem Happy End...

Den Abschluss bilden die Kurzgeschichte „Menschlich ist” („Human is”), in der Dick, völlig untypisch für ihn, seinen Protagonisten ein wunderbares Happy End gönnt, und die längere Geschichte „Autofab” („Autofac”), die den unendlichen Krieg des Menschen gegen wohlmeinende Maschinen (der schließlich zum Krieg der Maschinen untereinander pervertiert) schildert.


Insgesamt nicht unbedingt die besten Kurzgeschichten des visionären SF-Autors (diese sind im Storyband „Der unmögliche Planet“, erschienen bei Heyne, zu finden, es lohnt sich aber auch, der Gesamtausgabe aller kürzeren Erzählungen zu frönen, denn Dick blieb hier seinem hohen Niveau fast durchgängig treu), aber intelligent, lesbar, unterhaltsam und anregend allemal. Auf die visuelle Umsetzung durch die angekündigte Serie darf man gespannt sein.