Robin Hobb: Der Erbe der Schatten - Die Chronik der Weitseher 3 (Buch)

Robin Hobb
Der Erbe der Schatten
Die Chronik der Weitseher 3
(Assassin’s Quest, 1997)
Übersetzung: Eva Bauche-Eppers
Karte: Andreas Hancock
Penhaligon, 2017, Paperback mit Klappenbroschur, 1120 Seiten, 15,00 EUR, ISBN 978-3-7645-3186-7 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Irene Salzmann

Fitz-Chivalric, der Bastard des früh verstorbenen Thronfolgers über die sechs Baronien, konnte dem Schicksal ein Schnippchen schlagen. Trotz der Bemühungen seiner Feinde und der von König Listenreich sowie dessen Erbe und Königs-zur-Rechten Veritas überlebte Fitz, was jeden anderen getötet hätte. Den Preis, den er dafür zu zahlen hat, ist hoch - wie hoch, das erkennt er erst später, als er wieder halbwegs der Mann ist, der er einmal war.

Prompt bricht er mit seinem einstigen Leben, denn wenn man ihn für tot hält, stellt er keine Bedrohung mehr für seine Freunde dar und hat vielleicht eine Chance, sich an Edel zu rächen, der sich selbst zum König erhoben hat, nachdem Veritas verschwand, um die Uralten zu suchen, hoffend, dass sie wie schon einmal den Menschen gegen die Roten Korsaren beistehen werden.

Fitz‘ Plan misslingt, und bloß knapp kann er dem Hinterhalt entkommen, der ihm gestellt wurde. Sein Retter ist kein anderer als Veritas, der ihm durch die Gabe befiehlt, zu ihm zu kommen, eine Aufforderung, der er sich nicht entziehen kann. So folgt Fitz mit Kettricken, Veritas‘ Gemahlin, Krähe, einer geheimnisvollen und sehr kenntnisreichen alten Frau, der Vagantin Merle, dem Narr des ermordeten Königs Listenreich und dem Wolf Nachtauge, Fitz‘ Rudelbruder, den Spuren seines Königs.

Die Suche nach Veritas ist entbehrungsreich und auf mannigfaltige Weise gefährlich. Obwohl sie immer wieder kurz vor dem Scheitern stehen, erreichen sie ihr Ziel – und finden Veritas. Doch er scheint nicht mehr von dieser Welt sondern besessen von einer Idee zu sein, die sich den anderen nicht erschließen will. Veritas ist davon überzeugt, die Uralten gefunden zu haben, aber ihre Hilfe kostet große Opfer. Als Fitz mit Hilfe der Gabe sieht, welches Schicksal seine Liebste Molly und die gemeinsame Tochter erwartet, ist er bereit, sich selbst hinzugeben, damit alles, was Veritas bereits geopfert hat, nicht vergebens war und die Baronien gerettet werden.


Natürlich ist es ziemlich sinnlos, den dritten Band einer umfangreichen Trilogie zu beginnen, wenn man die Vorgeschichte nicht kennt. Darum sollte man die anderen Teile der „Weitseher-Chronik“, „Die Gabe der Könige“ und „Der Bruder des Wolfs“, unbedingt gelesen haben, um zu wissen, worum es geht und wer die Akteure sind. In Nebensätzen wird zwar Manches erklärt, aber das ist zu wenig für Quereinsteiger, da es den treuen Lesern ausschließlich als Gedächtnisstütze dienen soll.

Was durchaus notwendig ist, da die Handlung an vielen Orten spielt und zahlreiche Figuren involviert, die kleine und große Auftritte haben. Eine Trilogie von knapp 3000 Seiten wäre in den 70er und 80er Jahre noch gnadenlos von den Verlagen zerlegt worden in mindestens drei Mal so viele Einzelbände (siehe „Shannara“, „Game of Thrones“ etc.). Die Story mag nicht ganz so ausufern wie die der genannten Serien, denn Robin Hobb beschränkt sich auf die Abenteuer von Fitz-Chivalric und nicht auch noch auf dessen Nachkommen beziehungsweise konzentriert sich auf seine Reflexionen und lässt andere bloß als geheimer Beobachter zu Wort kommen.

Der Plot ist komplex, betreibt aber keine Seitenschinderei, weshalb auf unnötige, den Story-Verlauf bremsende Nebenszenarien verzichtet wird. Jede kleine Andeutung erweist sich irgendwann als wichtig für das Gesamte. Auch die Gewalt hält sich in Grenzen, denn Nachtauge folgt seiner Natur, Fitz verfügt selbst als Assassine über Reue-Gefühle, die anderen tun, was sie glauben, für das Gute tun zu müssen - und allein die Gegenspieler sind machthungrige, ängstliche Egomanen, die andere für ihr persönliches Wohlergehen bedenkenlos opfern.

Die Charaktere entwickeln sich weiter, ohne jedoch all ihre Geheimnisse aufzugeben. Fitz muss seine Ängste überwinden und akzeptieren, dass er nicht bloß ein Mensch ist, der die Gabe besitzt, sondern der zusätzliche Talente beherrscht, die als schlecht gelten. Oft wollte er sich von Nachtauge trennen, um ihn in Sicherheit zu wissen, aber stets war er glücklich, wenn sein Wolfsbruder zurückkehrte, um ihn zu unterstützen. Tatsächlich erweist sich Nachtauge als sehr wichtiges Mitglied des Suchtrupps, ebenso wie Krähe, die ihr Geheimnis weniger aus logischen als aus taktischen Gründen der Autorin viel zu lange zurückhält.

Das ist einer der Punkte, der bei der packenden Trilogie ein Augenverdrehen hervorruft. Die Erklärungen, die Krähe und der Narr, der ebenfalls Einiges weiß, für ihr Schweigen von sich geben, sind billig. Damit wurde der Spannungsbogen künstlich hoch gehalten und ausgedehnt durch vermeidbare Komplikationen, und jeder Leser weiß es. Schade, denn die Story ist wirklich fesselnd und hätte solcher Tricks nicht bedurft.

Nachdem die Katze aus dem Sack ist, verflacht die Handlung zum Ende hin leider deutlich, denn der Ausgang wird im Eilverfahren auf wenigen Seiten abgehandelt, als wäre das Seitenkontingent ausgereizt. Manches hat man sich bereits zusammengereimt, aber einige Geheimnisse wie die Entfremdung und der Sieg über die Roten Korsaren lösten sich nach über zweitausend Seiten des Jammerns über diesen schier unbesiegbaren Gegner in mit knappen Worten erklärten Wohlgefallen auf. Auch das ist bedauerlich, da es obige Theorie der maximalen Seitenzahl stützt, ein Manko, das schon vielen Bücher einen wirklich überzeugenden Schluss kostete.

Die Rezension scheint Vieles vorwegnehmen, aber dem ist nicht so. Die Geschichte bietet viele Überraschungen im Detail und auch im Rahmen größerer Wendungen. Insgesamt ist die Trilogie auf jeden Fall, wenn man epische Fantasy schätzt, lesenswert und spannend, die Charaktere sind lebensnah und nachvollziehbar angelegt. Allein statt des schnellen Endes hätte man sich einen würdigeren, weniger gedrängten Ausklang gewünscht.