Robin Hobb: Die Gabe der Könige (Buch)

Robin Hobb
Die Gabe der Könige
Die Chronik der Weitseher 1
(Assassin’s Apprentice, 1995)
Übersetzung: Eva Bauche-Eppers
Karte: Andreas Hancock
Penhaligon, 2017, Paperback mit Klappenbroschur, 505 Seiten, 15,00 EUR, ISBN 978-3-7645-3183-6 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Irene Salzmann

Fitz ist ungefähr sechs Jahre alt, als sein Großvater ihn der Mutter wegnimmt und an den Hof von König Listenreich bringt, den anderen Großvater, denn der Junge ist der Bastard von dessen ältesten Sohn und designierten Nachfolger Chivalric. Dieser ist jedoch verheiratet und die Ehe kinderlos. Als er von seinem illegitimen Sohn erfährt, legt er alle Ämter nieder und zieht sich zusammen mit seiner Frau Philia in eine Baronie zurück.

Als Thronanwärter rückt nun Listenreichs nächstältester Sohn Veritas nach, und auch der dritte Prinz aus zweiter Ehe, Edel, hat Ambitionen. Zunächst schenkt kaum jemand Fitz Beachtung, sodass sich Chivalrics Stallmeister Burrich, der von seinem Herrn zurückgelassen wurde, des Kindes annimmt. Obwohl beide vorsichtig eine Beziehung zueinander knüpfen, bleiben sie einsam, und es ereignen sich immer wieder Dinge, die Burrich Distanz wahren und Fitz voller Misstrauen beobachten lassen. Zum Teil sind es geringe Anlässe, da niemand dem Jungen etwas beigebracht und ihm erklärt hat, was richtig und falsch ist. Am meisten verstört Burrich jedoch Fitz‘ Gabe, gedanklich mit Tieren kommunizieren zu können, was er als falsch und schlecht erachtet.

Als Fitz etwas älter ist, lässt der König ihn ausbilden, um sich die Loyalität des Jungen zu sichern. Infolgedessen lernt er Reiten, den Umgang mit Waffen, Lesen und Schreiben, die Etikette, den Gebrauch der Gabe - und was man als Assassine wissen muss. Fitz eignet sich dieses Wissen schnell an, denn ihm ist klar, dass er als Bastard nur dann überleben und vielleicht sogar seine unsichere Position am Hof verbessern kann, wenn der König ihn für nützlich hält und sein Beschützer ist.

Schon bald muss Fitz sein Können unter Beweis stellen: Die Küsten werden von den Roten Korsaren bedroht, die nicht nur plündern und brandschatzen, sondern auch die Bewohner der Dörfer verschleppen. Von den Fürsten verlangen die Piraten Geld, damit die Gefangenen nicht freigelassen werden. Das Ersuchen wird prompt abgelehnt, und die Entführten kehren zurück, jedoch völlig verändert und ihrer Menschlichkeit beraubt. Listenreich findet in dem Volk der Chyurda Verbündete - das Resultat zäher Verhandlungen, die einst der inzwischen verstorbene Chivalric führte. Allerdings will der König mehr als nur Freunde, und Fitz soll den Prinzen ermorden, sodass der Thron an dessen Schwester Kettricken fällt nach dem Tod des gegenwärtigen Herrschers - und somit an Veritas, dessen Frau sie wurde und der seinerseits durch die Hand eines Verräters sterben soll.

Fitz setzt die Puzzle-Stücke zusammen, doch auch ihn haben die Verräter ins Visier genommen und trachten ihm nach dem Leben. Seine einzige Chance, um größtes Unheil zu verhindern, ist, die selten gewordene Gabe der Weitseher einzusetzen, um Veritas zu warnen, doch die hat er nicht richtig erlernen können…


Dass auf rund 600 Seiten sehr viel mehr passiert, als die kurze Zusammenfassung preisgibt, dürfte auf der Hand liegen. Die geschilderten Ereignisse sind in eine Rahmenhandlung eingebettet, in der sich Fitz als alter Mann (weshalb man weiß, dass er allen Gefahren entkommen wird) erinnert, was damals geschehen ist, und die Geschichte niederschreibt. Das lässt den Leser anfangs befürchten, dass viel geschwafelt beziehungsweise reflektiert und das Tempo aus der Handlung herausgenommen wird, aber erfreulicherweise ist dem nicht so; die Einschübe bleiben kurz und selten.

Dennoch wird die Handlung gemächlich, aber immer so reizvoll abgespult, dass man dabei bleiben und wissen möchte, wie es weitergeht. Man erfährt, wie Fitz als kleines Kind an den Hof in Bockburg gelangt, sich dort zunächst weitgehend selbst überlassen bleibt, erste Freundschaften schließt und verliert, von Burrich an die Kandare genommen wird und unter der Ägide von König Listenreich, der verwitweten Philia, die sich wünscht, dass er ihr Sohn wäre, und ausgewählten Lehrern ausgebildet wird.

Faszinierend sind die Gewissenskonflikte, denen sich Fitz stellen muss. Vieles, was ihm selbstverständlich erscheint oder für ihn wird, ist nicht das, was andere als ‚richtig‘ erachten, und was er als verwerflich empfindet, soll er - für oder im Auftrag des Königs - erledigen. Was er als Assassine lernt und für ihn wirklich wichtig ist, ist das Beobachten und Hinterfragen, denn auch der König und sein Nachfolger sind von Verrätern umgeben, und viele Entscheidungen muss er selbst treffen. Das geheime Wissen bringt jedoch auch ihn in Gefahr, da ihn die Gegenspieler fürchten, zum Sündenbock machen und dann umbringen wollen.

Man könnte nun noch sehr viel mehr ins Detail gehen, Namen und als Katalysator wirkende Ereignisse nennen, aber das ist müßig. Der Leser sollte selbst Fitz‘ komplexe Welt kennenlernen, von seinen Aufs und Abs, Freunden und Feinden erfahren. Obschon einiges zunächst wenig relevant erscheint, sind auch diese Details wichtig für die weitere Entwicklung. Ein wahrlich kompliziertes Geflecht entsteht und entführt das Publikum in eine vielschichtige Welt, die an J. R. R. Tolkien („Der Herr der Ringe“), George R. R. Martin („Game of Thrones“), Michael Moorcock (das Multiversum um den „ewigen Helden“) & Co. erinnert.

Hat man Spaß an dem ersten „Weitseher“-Band, wird man auch die beiden Fortsetzungen lesen wollen. Man findet hier gleichermaßen traditionelle und weniger verbrauchte Motive. Allerdings sollte man epische Fantasy mögen, denn es wird viel beschrieben und Charakter-Entwicklung betrieben, eher wenig gehandelt beziehungsweise die Geschichte durch Kämpfe und Magie vorangetragen. Die Auflösung zahlreicher Geheimnisse wird auf für später verschoben. Die eigentliche Frage ist nicht, ob Fitz überlebt, sondern wie, und was aus den Menschen seines Umfelds sowie den Bewohnern des bedrohten Königreichs wird.

Robin Hobb, eigentlich Margaret Astrid Lindholm Ogden (geb. 1952, Berkeley, USA), schrieb unter diesem und dem Pseudonym Megan Lindholm in erster Linie Fantasy-Trilogien und -Zyklen, unter anderem den „Windsänger“-Zyklus, „Die Zauberschiffe“, die „Regenwildnis“-Saga. Die meisten ihrer Bücher sind in Deutschland bei verschiedenen Verlagen wenigstens einmal veröffentlicht worden. Auch die „Chronik der Weitseher“ dürfte Insidern unter anderen Titeln bekannt sein, denn die vorliegende überarbeitete Fassung von Penhaligon ist bereits die dritte Veröffentlichung (nach den Ausgaben von Bastei-Lübbe und Heyne).

Auf „Die Gabe der Könige“ werden in den kommenden Monaten die Teile „Der Bruder des Wolfs“ und „Der Erbe der Schatten“ folgen. Ferner existieren zwei weitere „Fitz“-Chroniken, („Tawny Man“, „The Fitz and the Fool“, Erstere erschien bei Bastei-Lübbe, letztere bislang nur auf Englisch), die vielleicht ebenfalls eine Neuauflage beziehungsweise deutsche Erstausgabe erfahren.