Michael J. Sullivan: Die verborgene Stadt Percepliquis (Buch)

Michael J. Sullivan
Die verborgene Stadt Percepliquis
Riyria 6
(Heir of Novron/Percepliquis)
Übersetzung: Wolfram Ströle
Titelbild: Federico Musetti
Karte: Michael J. Sullivan
Hobbit Presse, 2016, Paperback, 636 Seiten, 18,95 EUR, ISBN 978-3-608-96017-4 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Irene Salzmann

Mit vereinten Kräften ist es Imperatorin Modina und ihren Verbündeten gelungen, die heimlichen Herrscher des Imperiums zu entmachten. Ihr bleibt jedoch keine Zeit, für Ordnung in ihrem Reich zu sorgen und den Fürsten ihre Souveränität zurückzugeben, da aus dem Nordosten eine neue Gefahr droht und immer mehr Menschen in die Hauptstadt Aquesta flüchten.

Was konkret passieren wird, ist unbekannt, da es bloß einige kryptische Andeutungen gibt. Diejenigen, die mehr hätten verraten können, sind entweder tot oder wollen die eskalierende Situation zu ihrem Vorteil nutzen. Prinzessin Arista von Melengar, die gewissermaßen zur Erbin des Magiers Esrahaddon wurde, glaubt zu wissen, was zu tun ist: Sie stellt eine Gruppe tapferer Helden zusammen, die nach der versunkenen Stadt Percepliquis suchen soll, deren Lage sie sicher zu kennen meint. Auch der Mönch Myron Lanaklin, der über ein fotografisches Gedächtnis verfügt, erweist sich als hilfreich auf der Suche nach jenem Objekt, das nach dem Auslaufen des Abkommens zwischen Menschen und Elben benötigt wird, um einen verheerenden Krieg zwischen beiden Völkern zu verhindern.

Ebenfalls zu der Truppe, die tief unter die Erde vorstoßen soll, gehören die Diebe Hadrian Blackwater und Royce Melrose, Aristas Bruder König Alric, ihr gemeinsamer Freund Mauvin Pickering, der angebliche Novron-Abkömmling Degan Gaunt, der Zwerg Magnus, die Seefahrer Wyatt Deminthal und Elden sowie einige Jungen, die sich um die Pferde und den Wagen kümmern. Royce, Magnus, Wyatt und Elden nehmen nicht freiwillig an der Mission teil, sondern weil ihnen aufgrund ihrer Vergehen Amnestie versprochen wurde, kehren sie erfolgreich zurück. Royce ist zwar gewillt, Hadrian und die anderen zu unterstützen, aber in Wirklichkeit sucht er den Tod, weil es nach der Ermordung von Gwen, seiner Braut, nichts mehr gibt, das ihm etwas bedeutet.

Während die Helden nach dem Horn von Gylindora forschen, dabei Dinge erfahren, welche die Nyphronkirche den Menschen seit Jahrhunderten verheimlicht, und zahlreiche Gefahren überstehen müssen, die so manches Opfer fordern, bereiten sich Modina und ihre Getreuen auf den Angriff der Elben vor. Doch obschon sie im letzten Moment gewarnt werden, von wo der Feind attackieren wird, haben die Verteidiger keine Chance. Dass das Horn der Imperatorin rechtzeitig gebracht wird, ist die letzte Hoffnung, doch in die Gruppe hat sich ein Verräter eingeschlichen, der für jemanden arbeitet, der seit Generationen auf diesen Tag gewartet hat.


Der sechste und letzte Band des „Riyria“-Zyklus (auf Englisch liegen außerdem vier Print-Romane „Riyria Chronicles“ nebst dreier eBooks vor sowie eine Saga über das erste Imperium, gegenwärtig bestehend aus zwei Teilen) ist das umfangreichste Buch der Reihe und das nicht nur wegen des Glossars am Ende, das wichtige Namen und Begriffe alphabetisch listet.

Nachdem die Serie zunächst als epische Fantasy um ein Diebes-Duo begann, das sich immer mehr in politisch brisante Intrigen verstrickte, wurde zum Ende hin ein ‚Rettet die Welt‘-Szenario daraus, denn Hadrian und Royce sowie ihren Verbündeten kommen wichtige Rollen zu, die sich keiner von ihnen ausgesucht hat, doch können sie der Vorhersehung nicht entkommen und müssen tun, was ihnen ihr Gewissen befiehlt.

Dass Hadrian der Leibwächter des wahren Erben Novrons ist, wurde schon früh enthüllt, doch wurde der letzte legitime Imperator offenbar ermordet. Modina, der dieser Titel auferlegt wurde, da die Nyphronkirche und Regent Saldur die junge Frau als Marionette nutzen wollten, ist kein Nachkomme, aber sie kann das Joch ihrer Manipulatoren abschütteln und tatsächlich zu der neuen Hoffnung eines friedlichen Reichs werden. Ohne dass jemand davon ahnte, schnappte sie in den Wochen ihres Krankseins viel Wichtiges auf und hörte stets auf den Rat integrer Menschen, darunter ihre Vertraute Amilia und deren Ratgeber Nimbus.

Nun soll der Rebell Degan Gaunt der wahre Erbe sein, doch was man über ihn hört und auch sein Verhalten lassen gewisse Zweifel zu. Dennoch ist Modina bereit, die Krone an ihn abzutreten, wenn er an der Mission teilnimmt, denn nur der Erbe soll fähig sein, das Horn von Gylindora zu bergen und den Krieg gegen die Elben abzuwenden.

Auch Aristas Part wird immer weiter ausgebaut. War sie zunächst eine resolute Prinzessin mit mehr Stärke als ihr Bruder Alric, der stets mit ihr haderte, weil sie nicht artig und unscheinbar an dem einer Frau zugewiesenem Platz auf die Befehle der Männer warten mochte, so entwickelt sie ihre magischen Fähigkeiten aus der Not heraus immer weiter, rettet ihres und das Leben ihrer Begleiter, sorgt sogar für eine unverhoffte Wende, wenn schon alles verloren scheint.

Dass Royce ein Halbelfe ist, war ebenfalls jedem Leser sehr schnell klar, obschon seine Herkunft erst später direkt angesprochen wurde. Stück für Stück wurde mehr über ihn verraten, dass ein entbehrungsreiches Leben ihn zu jemandem machte, der eigentlich ‚böse‘ ist, auch wenn man nie diesen Eindruck hatte, da er meist bloß tat, was notwendig war, und gerade das Düstere an ihm faszinierte mehr als die unleugbare Ehrlichkeit und Freundlichkeit von Hadrian. Während jener durch Degan Gaunt nun seine Bestimmung gefunden zu haben scheint, konzentriert sich der Autor bei Royce auf neue Möglichkeiten, die jedoch, wie das erfahrene Publikum vermuten durfte, nie wirklich eine Option waren. Infolgedessen scheint sich der Protagonist seiner dunklen Seite zu ergeben, aber wieder ist er für eine Überraschung gut.

Alle übrigen Teilnehmer an der Expedition sind in erster Linie Heldenbegleiter, die durch frühere Aktionen dafür sorgten, dass sie von Nutzen sind. Damit kommt sogar Band 4, „An Bord der Smaragdsturm“, der sich fast wie ein Füllsel-Roman las, eine größere Bedeutung zu. Tatsächlich gibt es keine Füllsel, sondern ein sehr komplex aufgezogenes Handlungsgerüst voller Details, deren Bedeutung mitunter erst sehr viel später erkannt wird, da es manchmal nicht die vordergründigen Geschehnisse sind, welche die Weichen stellen.

Man kann sich jedenfalls nicht über einen Mangel an Action und Enthüllungen beschweren. Dieser Abschlussband ist vollgepackt mit Informationen, wie man sie vielfach nicht vorhersehen konnte. Gerade die Geschichte der Welt Elan erhält neue Aspekte, wodurch vieles in einem anderen Licht erscheint und die Motive und Identität des heimlichen Strippenziehers verständlich macht.

Es kommt zum Showdown, anders als erwartet, weitere Überraschungen inklusive, bevor die Handlung ausklingt und alles aussortiert wird. Keine Frage bleibt unbeantwortet. Danach ist man zwar zufrieden, aber auch wieder nicht, weil die Geschichte weitergehen könnte - so der Autor will.

Folgt man dem „Riyria“-Zyklus von Beginn an, mag man keinen Band aus der Hand legen, bevor man nicht das Ende erfahren hat, und danach möchte man unbedingt die Fortsetzung lesen.

Die Handlung ist sehr komplex, im Wechsel offeriert der Autor Vorhersehbares und Überraschendes, es sind kleine Häppchen dabei, die man erahnt, ganz bewusst gestreut, sodass die verblüffenden Wendungen umso wirkungsvoller ausfallen. Sympathische Charaktere erlauben, dass man mit ihnen fiebert, bangt und sich freut, wenn sie ihr Ziel (halbwegs) erreichen. Eigentlich sind sie schon etwas zu positiv gezeichnet, sodass man schon zu viele Sympathieträger hat, mit denen man sich identifizieren kann. Trotzdem funktioniert die Story.

Schätzt man epische Fantasy, wird man von „Riyria“ begeistert sein.