Julia Rosenthal: Vendetta (Buch)

Julia Rosenthal
Vendetta
Titelbild: Candy Kay
AAVAA, 2016, Paperback, 356 Seiten, 11,95 EUR, 978-3-8459-2012-2 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Irene Salzmann

Am Comer See gegen Ende des 18. Jahrhunderts: Die Adlige Isabella Montigliore darf nicht die Frau von Herzog Leando Santavera, dem Mann, den sie liebt, werden. Im Kloster stirbt sie bei der Geburt ihres Sohnes Alessio. Dieser wird von entfernten Verwandten aufgezogen, die sterben, während er die Klosterschule besucht. Alessio ist 15 Jahre alt und überaus hübsch, als er in das Haus seines Onkels, Graf Ottavio Montigliore, übersiedelt und dort auch seinen Cousin Stefano kennenlernt. Die älteren Männer wahren Abstand, obwohl sich der naive, schüchterne Junge bemüht, mit seinen einzigen Angehörigen gut auszukommen.

Während eines Balls auf dem Anwesen von Lady Batterfield nähert sich Stefano Alessio, und nur das Erscheinen von Leandro und Ottavio, beide Todfeinde, verhindert, dass der Junge vergewaltigt wird. Nachdem sich Leandro zurückgezogen hat, schießt Ottavio am Seeufer auf Alessio, weil dieser ihn zu sehr an Isabella und ein dunkles Geheimnis erinnert. Der Graf behauptet, es wären Räuber gewesen, die Leiche wird nie gefunden - und wer würde die Worte des obersten Gerichtsherrn des Bezirks Como anzweifeln?

Fünf Jahre später erklärt eine mysteriöse junge Frau, die nichts Näheres über sich verraten will, Leandro, dass sie die Tochter der verstorbenen Isabella und er wohl ihr Vater sei. Dieser hatte die Liebe seines Lebens jedoch nie angerührt, sodass nur ein Mann bleibt, der für die Vaterschaft infrage kommt - was alles noch viel schlimmer macht. Vendetta, wie sich die Schöne nennt, verbündet sich mit Leandro, um diese Person all ihrer Verbrechen zu überführen, ihn büßen zu lassen und dann zu töten, selbst wenn es sie das Leben kosten sollte.

Nach anfänglicher Skepsis ist Leandro bereit, Vendetta zu unterstützen, denn er will Gerechtigkeit. Bald jedoch tritt für ihn die Rache an dem Feind in den Hintergrund: Er hat sich in Vendetta verliebt, möchte sie zu seiner Frau und zur Mutter seiner Kinder aus einer kurzen Ehe machen, die Vendettas Geheimnis längst durchschaut haben und sich wünschen, dass sie Mitglied ihrer Familie wird.

Vendetta ist hin und her gerissen. Schnell lernt sie den Herzog und seine Kinder zu lieben und will sie beschützen, aber ihr Hass auf Ottavio scheint stärker, und sie kann sich selbst weder lieben noch akzeptieren, dass andere sie schätzen. Hinzu kommt, dass Leandro in seiner Verliebtheit blind ist und die Hinweise, die Vendetta behutsam bezüglich ihrer wahren Identität streut, nicht erkennt und sie unwissentlich durch einige Verhaltensweisen verletzt, sodass sie ihm ihr größtes Geheimnis erst recht nicht anvertrauen kann, weil mit Leandros Verständnis kaum zu rechnen ist - in dieser Angelegenheit. Ihre einzige Hoffnung ist, dass, wenn es herauskommt, alles schon vorbei ist...


Man erfährt über Julia Rosenthal nicht viel, bloß dass sie Jahrgang 1981 ist, Kunsthistorik und Germanistik studiert hat und seit 2000 Storys im Internet veröffentlicht, die im Bereich Historischer Roman und Phantastik mit homoerotischen Elementen anzusiedeln sind.

Der AAVAA Verlag publizierte ihren Titel „Vendetta“, der sich in erster Linie als Romanze entpuppt, die in Italien spielt, das sich vor einem Umbruch, getragen von der Französischen Revolution, befindet. Hinzu kommen vage Krimi-Elemente, denn eigentlich ist klar, was geschehen ist und dass dem Schurken die gerechte Strafe zukommen soll. Dass die Romanze auf die homoerotische Ebene gehoben wird, machen die kurze Information über die Autorin und der Klappentext deutlich, weshalb die Entwicklung nicht überraschend kommt. Im Gegenteil, ist man mit dieser Art Literatur - Frauen schreiben für Frauen homoerotische Geschichten (Slash, Boys Love, Shonen Ai, Yaoi, Gender Bender hat auch in Deutschland mittlerweile bestimmt fünfzig und mehr Jahre Tradition) -, ahnt man sofort, wie die Handlung verlaufen wird und welche Schwerpunkte die Autorin setzt. Vorbilder gibt es schließlich (aus Japan vor allem) genug: zum Beispiel „Zetsuai“ und die Fortsetzung „Bronze“ von Minami Ozaki, die in diesen Serien schildert, wie sich ein populärer Künstler in ein Fußball spielendes Mädchen verliebt und wenige Jahre später feststellt, dass es sich bei dieser um einen Jungen handelt, von dem er einfach nicht loskommt, was für sie beide Konsequenzen hat.

Infolgedessen sieht der erfahrene Leser auch für Alessio und Leandro in erster Linie nur Probleme, die schwer zu bewältigen sind. Beide sind typische Kinder ihrer Zeit, die, obschon (fragwürdige) Amouren in ihren Kreisen zur Tagesordnung gehören, gleichgeschlechtliche Beziehungen als Sünde erachten. Außerdem hat jeder der Männer seine Ehre, die er nicht beflecken möchte. Während es Leandro trotz vieler Anzeichen versäumt, die richtigen Schlüsse zu ziehen, kann Alessio sich ab einem bestimmten Punkt nicht mehr offenbaren, da die emotionalen Verstrickungen schon zu fortgeschritten sind und die Wahrheit ihre gemeinsamen Pläne gefährdet hätte. So knapp vor dem Ziel will Alessio seinen Feind nicht entkommen lassen, obwohl ihn alle, die den Rollentausch durchschaut haben, bitten, reinen Tisch zu machen und sein Leben nicht fortzuwerfen.

Bücher und mehr noch Fanfiction im Internet mit homoerotischen Verwicklungen findet man mittlerweile reichlich. Für gewöhnlich ist die Handlung sehr dünn und spielt vor einem Hintergrund, der oft als bekannt vorausgesetzt und/oder kaum ausgearbeitet ist, da er lediglich als Gerüst dient, eine mehr oder minder grafisch beschriebene Beziehung zwischen zwei Männern (seltener Frauen) in den Mittelpunkt zu stellen, d. h., wenig Background und Handlung, dafür viel Herz-Schmerz und Erotik.

Julia Rosenthal überrascht diesbezüglich. In ihrem Roman lässt sie umfassendes historisches und ‚vor Ort‘-Wissen einfließen. Der Racheplan ist ebenso wichtig wie die sich entwickelnde homoerotische Romanze. Das Rollenspiel und die Enthüllung zum ungünstigsten Zeitpunkt sind ausgemachte Sache; für Überraschungen sorgen allein die parallel verlaufende Freundschaft der Protagonisten, das Wann und Wie der Demaskierung sowie die Konsequenzen. Die Gewichtung ist gelungen, denn weder die Vergeltung noch  die Beziehung werden einseitig vorangetrieben, und wenn das eine Thema hinreichend behandelt wurde, wird zum anderen gewechselt, um die Spannung auf beiden Ebenen zu erhalten - sehr gut gemacht!

Auch die Auflösung ist nicht selbstverständlich. Gerade von den Japanern ist man tragische Finale gewohnt, und hier sind alle entsprechenden Vorzeichen für ein solches erfüllt. Ob es eine Tragödie oder ein Happy End gibt, sollte man selbst lesen.

Tatsächlich ist der Roman trotz gewisser Vorhersehbarkeiten sehr schön und kurzweilig zu lesen, insbesondere aufgrund der historischen Authentizität und der sympathischen Charaktere. Der erotische Aspekt bleibt romantisch und setzt auf eine Wortwahl, die weder deftig ist noch die Dinge beim Namen nennt, sodass auch Leser, die mit gleichgeschlechtlichen Beziehungen wenig anfangen können oder manches lieber der Phantasie überlassen wollen, nicht überfordert werden. Julia Rosenthal kann außerdem sprachlich überzeugen; die (durch einen Lektor/Korrektor vermeidbaren) Fehler halten sich in Grenzen, es gibt einen Spannungsbogen, nachvollziehbare Dialoge und eine  angemessene Auflösung.

Für weibliche Genre-Fans ab 16 Jahre ein tolles Buch, das Lust auf mehr Titel der Autorin macht!