Akte X/30 Days of Night (Comic)

Steve Niles & Adam Jones
Akte X/30 Days of Night
Titelbild: Andrea Sorrentino
Zeichnungen: Tom Mandrake,
Übersetzung: Frank Neubauer
Cross Cult, 2016, Hardcover, 144 Seiten, 25,00 EUR, ISBN 978-3-86425-991-3

Rezension von Irene Salzmann

„30 Days of Night“, geschaffen von Steve Niles und Ben Templesmith, erschien zunächst als Comic-Mini-Serie (2002), die in Deutschland erst bei Infinity, später bei Cross Cult veröffentlicht wurden. Sie erfuhr eine gleichnamige Film-Adaption (2007), die mit einem zweiten Teil („30 Days of Night: Dark Days“, 2010) fortgesetzt wurde. Ferner existieren zwei Webserien („30 Days of Night: Blood Trails“, 2007; „30 Days of Night: Dust to Dust“, 2008). Darüberhinaus publizierte Panini zwei Romane (Tim Lebbon: „30 Days of Night“, 2007; Steve Niles & Jeff Mariotte: „30 Days of Night: Die Legende der Untoten“, 2008).

Bei „Akte X“, erdacht von Chris Carter (1992), verlief es umgekehrt: Zuerst war die Kult-TV-Serie da, die mittlerweile zehn Staffeln Umfang hat, nebst zweier Spielfilme. Einige Episoden wurden in Buchform veröffentlicht und neue Fälle hinzugefügt. Sehr schnell folgten Comic-Adaptionen, von denen jedoch keine so recht zu überzeugen vermochte, da insbesondere die zeichnerische Qualität viel zu wünschen übrig ließ. Das vorliegende „Akte X/30 Days of Night“-Crossover, erschienen bei Cross Cult, ist die erste Comic-Umsetzung, die durch ihre Story und Zeichnungen wirklich gefällt und eine Empfehlung verdient.


Die Handlung orientiert sich an der „30 Days of Night“-Vorlage mit anderem Ort und anderen Protagonisten sowie dem Fokus auf Dana Scullys und Fox Mulders Ermittlungen.

Um den 30 Tagen der eisigen Polarnacht zu entkommen, haben die meisten Bewohner von Wainwright/Alaska vorübergehend ihre Heimat verlassen. Nur einige Wenige sind zurückgeblieben, um ein Auge auf die verwaisten Häuser zu haben. Einer von ihnen ist der Trucker Henry-Lee „Patches“ Brown. Auf dem Weg nach Hause entdeckt er mehrere zerstörte Fahrzeuge und geköpfte Leichen. Das bizarre Szenario ruft das FBI auf den Plan. Die Kollegen - von einem wurde Mulder schon früher schikaniert -, erweisen sich als wenig kooperativ, sodass er und Scully weitgehend auf sich gestellt sind und bei den Recherchen anderen Spuren folgen. Diese führen zu einem in Eis eingeschlossenen Mädchen, das noch am Leben ist und plötzlich zu brennen beginnt. Auch das übersteht das Kind und wird in die Klinik gebracht.

Erzählungen der Inuit leiten die beiden Agents an die russische Grenze und in eine Höhle, in welcher sich ein kaum mehr als menschliches Wesen erkennbarer Mann ohne Gliedmaßen befindet, der einst mit einem Schiff auf der Suche nach dem ewigen Leben gekommen war und für seine Träume einen furchtbaren Preis bezahlen musste. Worauf Kapitän Morborg damals stieß, ist noch immer da und befindet sich längst in Wainwrigt, um zu töten, zu fressen und…


Die Handlung ist sehr viel komplexer, als die kurze Zusammenfassung vermuten lässt. In erster Linie begleitet man Scully und Mulder bei ihren Ermittlungen, doch hin und wieder darf man einen kurzen Blick auf andere Schauplätze und in die Vergangenheit werfen, wo sich grausige Dinge abspielen, die dem Unheimlichen, das in der Finsternis lauert, nach und nach ein Gesicht verleihen. Infolgedessen wird man Beobachter von so mancher Tragödie und weiß vor den Agents, dass diese in Gefahr sind und sich der Ring um sie immer enger zieht.

Während Scully, wie üblich, skeptisch bleibt und eine logische Erklärung sucht, vermutet Mulder frühzeitig, dass es sich um eine Art Vampire handeln könnte. Der Leser erfährt Stück für Stück mehr und wird außerdem durch eine Entwicklung überrascht, die den Kreis zu Kapitän Morborg und seiner Suche nach einem Artefakt, aber auch zu Mulders Konflikt mit dem Kollegen schließt. Fast meint man, danach aufatmen zu dürfen, aber natürlich stimmt das nicht, sonst wäre es ja nicht „Akte X“. Das Ende bleibt offen, und man weiß, dass das Grauen „da draußen“ ist und sich ausbreiten wird.

Scully und Mulder sind als Charaktere mit all ihren Eigenarten und in ihrem Zusammenspiel sehr gut getroffen. Auch die gelegentlich ironisch angehauchten Dialoge, übersetzt von Frank Neubauer, tragen dazu bei, dass es keinerlei Brüche gibt, dass sich der Comic nahtlos zur TV-Serie und den Büchern (mit Abstrichen, da diese teilweise nur die Episoden-Handlung oberflächlich beschreiben ohne innere Monologe und Ausschmückung) hinzufügen lässt. Man erlebt die zwei, wie man sie kennt und schätzt.

Die Nebenfiguren sind gleichfalls glaubwürdig inszeniert. Einige von ihnen haben einen Namen und eine kleine Geschichte, sodass man es, wie von den Autoren beabsichtigt, bedauert, wenn sie Opfer der Vampire werden. Nicht fehlen dürfen die Sticheleien gegen „Spooky Mulder“, denn die persönliche Abneigung bringt eine menschliche Komponente in die ansonsten ganz dem Fall gewidmeten Handlung und sorgt für zusätzliche Probleme, die am Schluss immens eskalieren.

Die Vampire wirken fremdartig, monströs und bedrohlich, tragen aber nur im Ausnahmefall individuellere Züge. Tatsächlich verfolgen sie ein Ziel, das über Töten und Fressen hinausgeht.

Der Plot aus den Federn von Steve Niles („Hellspawn“, „Cthulhu Tales“) und Adam Jones ist zwar nach gängigem Muster aufgebaut (das Szenario des Grauens wird entdeckt, die Agents treffen ein und beginnen mit ihren Nachforschungen, Stück für Stück fügen sie Hinweise aneinander, während parallel dazu Einzelschicksalen nachgegangen wird, das Bild formt sich, Showdown, die Handlung klingt aus mit Andeutungen), aber er funktioniert und sorgt durch die langsame Eskalation sowie unerwartete Wendungen für spannende Unterhaltung, die an das reifere Publikum adressiert ist.

Die ansprechenden Cover wurden von Andrea Sorrentino („Old Man Logan“, „I, Vampire“) entworfen und erinnern vage an die Titelillustrationen der „Akte X“-Comics von Topps. Am Ende des Bandes findet sich eine Galerie mit textfreien Cover-Abbildungen von Andrea Sorrentino, Tom Mandrake und Sam Keith („The Maxx“, „The Sandman“).

Tom Mandrakes („The Spectre“, „Weapon X“) Zeichnungen im Innenteil übertreffen bei Weitem alles, was bisher an „Akte X“-Comics erschienen ist und den Betrachter oft raten ließ, wer sich in den Panels tummelt, ob das wirklich Scully und Mulder oder vielleicht… sind. Die Hauptfiguren sind der Filmvorlage nachempfunden und wahrhaft gelungen. Selbst die Szenen könnten direkt aus den Filmen stammen. Die Illustrationen wirken realistisch und sind stimmungsvoll in düsteren Farben koloriert. Der Hardcover-Band fällt etwas kleiner aus als das gängige US-Comic-Format. Optisch wertet er den Titel zusätzlich auf. Er beinhaltet alle sechs Episoden der Mini-Serie, für deren Verständnis keinerlei Vorkenntnisse benötigt werden.

„Akte X/30 Days of Night“ ist mit Abstand die beste Comic-Adaption, die bisher erschienen ist. Die Künstler schaffen es, das Flair der Serie „Akte X“ einzufangen und mit den Motiven  aus „30 Days of Night“ zu einer spannenden, wie ein Film ablaufenden Story zu vereinen und die Protagonisten vor diesem Hintergrund so überzeugend in Szene zu setzen, dass man sich wie ein Zuschauer von einer der besten TV-Episoden fühlt. Die Bilder sind klasse. Hier stimmt einfach alles.

Nicht nur eingefleischte „Akte X“- sondern Fans von (Horror-) Comics allgemein sollten zugreifen.