Edward Lee: Gewürm (Buch)

Edward Lee
Gewürm
(Slither)
Übersetzung: Manfred Sanders
Festa, 2016, Paperback, 458 Seiten, 13,95 EUR, ISBN 978-3-96552-516-1 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Carsten Kuhr

Ort der Handlung: eine kleine Insel im Atlantik vor den Swamps von Florida. Einst, zur Zeit des Kalten Krieges, hatte die US Army hier Raketen stationiert, die angreifende russische Bomber hätten vom Himmel holen sollen. Mittlerweile ist die Bedrohung passee, die Raketen wurde an Israel verkauft und die Silos stehen leer. Nun ja, nicht alle Silos sind leer. In den letzten beiden haben zwei findige Gauner ihre Marihuana-Zucht aufgebaut; Dope, das ob seiner überragenden Qualität auf der Straße in Gold aufgewogen wird.

Darüberhinaus verirren sich immer einmal wieder vergnügungssüchtige Jugendliche auf die Insel, die hier feiern, saufen und ihre Sexualität im Adamskostüm ausleben. Eines Nachmittags bringt ein Hubschrauber eine wissenschaftliche Expedition auf die Insel. Begleitet von einem Soldaten wollen zwei Polychaetologen die in den Untiefen vor der Insel lebenden Würmer untersuchen, eine Fotografin ist ebenfalls mit von der Partie.

Im Verlauf der nächsten Tage versammeln sich so nicht weniger als drei unterschiedliche Gruppen auf dem Eiland - nicht ahnend, dass sie sich damit unfreiwillig zu Versuchstierchen in einem groß angelegten Versuch gemacht haben. Die Trichinella spiralis, ein mutierter Endoparasit der durch genetische Spleißung ins riesenhafte vergrößert wurde, labt sich an seiner Nahrung. Mit dabei eine Handvoll lustvoller Teenager, skrupellose Hinterwäldler, ein Zickenkrieg zwischen silikonverstärkter Oberweite und einer Nerd-Jungfrau und eine geheimnisvolle Macht im Hintergrund…


Edward Lee ist uns bestens als einer der bekanntesten und erfolgreichsten Autoren des Extreme Horror ein Begriff. In seinen zutiefst primitiven, sexistischen, gewaltverherrlichenden Romanen bricht er üblicherweise bewusst jedes Tabu und genießt damit diesseits wie jenseits des Atlantiks bei seinen Fans Kultstatus. Dass er aber nicht nur eine Aneinanderreihung von Perversitäten in die Tastatur zu hacken versteht, beweist vorliegender Roman.

Keine Angst, auch hier gibt es einige - allerdings wenige - markante Sex-Szenen, ohne diese wird es Lee wohl nie machen, doch in erster Linie kann man den Plot unter dem Begriff Thriller einreihen. Das wird so manchen Hardcore-Fan enttäuschen, stellt „Gewürm“ uns doch diesmal einen Autor vor, der eine durchkonstruierte, spannende Geschichte zu erzählen weiß. Dabei nutzt er gerne und ausgiebig bekannte Stereotypen: die vergnügungssüchtigen Teenager, die alternden, schönheits-chirurgisch aufgebrezelten Matures und MILFs, verklemmte Nerds, tumbe Rednecks; ein bekanntes Sammelsurium aus Archetypen, die auch seine nicht jugendfreien Romane bevölkern.

Darüberhinaus aber schildert er uns, durchaus packend, seinen Science-Thriller-Plot. Man mag darüber streiten, ob er dann mit den letzten Schlenkern der Handlung diese nicht doch ein wenig zu überlastet hat, dennoch liest sich der Roman flüssig und faszinierend durch. So begegnet der Leser in diesem Thriller einem Edward Lee, wie man ihn bis dato kaum kannte, der beweist, dass er auch außerhalb des Extreme Horror zu punkten weiß.