Jörg Kleudgen: Teatro Oscura (Buch)

Jörg Kleudgen
Teatro Oscura
Titelbild und Innenillustrationen Heiko Schulze
Edition CL, 2015, Hardcover, 252 Seiten, 25,00 EUR

Von Carsten Kuhr

Als es dem Lebenskünstler, Kunstfachmann und Teilzeitdieb Erich Stern nach einem misslungenen Einbruch in Deutschland zu heiß wird, flieht er über die Alpen. Noch während der Fahrt findet er in einem abgebrannten psychiatrischen Sanatorium das Tagebuch eines Patienten, das er hastig und in Eile einsteckt. In Venedig angekommen findet er die Muße, sich nicht nur der Suche nach verschollenen, günstigen Kunstwerken zu widmen, sondern sich auch das Tagebuch eines vermeintlich Verrückten anzuschauen.

Zusammen mit ihm werden wir in den Aufzeichnungen in ein Venedig entführt, das sich auf den ersten Blick wenig von der heutigen Lagunenstadt unterscheidet. Schaut man aber hinter die Maske der Stadt auf den langsam vermodernden Pfählen, so wird man hineingezogen in uralte Geheimnisse, vergessene Katakomben, geflutete Gänge und uralten Kulte.

Immer tiefer dringt der Leser in die Welt eines geistig zerrütteten Geistes ein, die aber bemerkenswerte Übereinstimmungen mit der Realität der Lagunenstadt aufweist. Die Wirklichkeit vermischt sich mit der morbid-phantastischen Ebene aus den Tagebüchern, bis der Protagonist nicht mehr wirklich unterscheiden kann, was wahr und was Einbildung ist. Als er dann tief unter den Plätzen der Stadt in einem vergessenen Tunnelsystem auf den Nachtmahr trifft, ahnt er, dass hinter der Maske der Realität weit mehr lauert, als je vermutet…

Was ist dies für ein Roman, den Herausgeber Eric Hantsch in seiner Edition CL in erneut mustergültiger Ausstattung vorliegt? Vor Jahren in der legendären Goblin Press erstveröffentlicht, hat Jörg Kleudgen seine Erzählung komplett überarbeitet und erweitert. Versehen mit diversen farbigen Innenillustrationen aus der Werkstatt von Heiko Schulze erwartet ein Werk den Leser, das der wunderbaren äußeren Ausstattung inhaltlich mehr als gerecht wird.

Lassen Sie mich zunächst noch einmal zur bibliophilen Ausstattung zurückkommen. Goldgeprägtes Hardcover mit Fadenheftung, dazu hochwertiges Papier, ein sorgfältiger Satz und nicht zuletzt die sieben ganzseitigen Farbillustrationen – und das alles zu einem mehr als moderaten Preis, das ist wohl einmalig!

Eric Hantsch merkt man an, dass er hier nicht nur mit Herzblut dabei ist, sondern, dass er auch seine Überzeugung, dem Werk einen adäquaten Rahmen zu bieten, konsequent verfolgt. Dass dies keinen Gewinn erwirtschaften soll und kann, ist bei dem geringen Obolus nachzuvollziehen und zu bewundern. Hier macht ein Buchliebhaber mit viel Elan und Enthusiasmus Bücher, wie man sie sich häufiger wünschen würde.

Jörg Kleudgen ist ein Phänomen. Als künstlerisch unheimlich begabter Mensch (er ist Leadsänger einer Band, zeichnet und textet im Bereich des Phantastischen und gibt dazu noch in Eigenregie erstellte Bücher heraus) hat er den Weg in die Großverlage nie wirklich gefunden. Dass dies nicht unbedingt von Nachteil sein muss, beweisen seine Veröffentlichungen. Hier erhebt ein Autor seine Stimme, der atmosphärisch unheimlich dicht zu fabulieren weiß, der sich als Verfasser der düsteren Phantastik bei Fans und Lesern einen Namen gemacht hat.

So ist auch vorliegender Band wieder ein Erlebnis. Immer wieder wechselt die Perspektive zwischen dem Tagebuch-Aufzeichnungen und der Jetzt-Handlung, wobei man immer mehr die Übersicht verliert, in welchem Erzählstrang man sich momentan befindet. Dass dies auch gar nicht wichtig ist, dass die ebenso eindringlich wie einfühlsam beschriebene Stadt im Meer und ihre Bewohner die Führung übernehmen, ist gut so, sorgen die entsprechende Beschreibungen doch für viel Flair, Atmosphäre und Unwirklichkeit.

So ist dies erneut, nach den längst ausverkauften „Chroniken von Kull“, eine wahre Perle der Phantastischen Literatur der leiseren Töne, die sowohl äußerlich wie inhaltlich den Leser verzaubert.