Robin Hobb: Der Bruder des Wolfs (Buch)

Robin Hobb
Der Bruder des Wolfs
Die Chronik der Weitseher 2
(Royal Assassin, 1996)
Übersetzung: Eva Bauche-Eppers
Karte: Andreas Hancock
Penhaligon, 2017, Paperback mit Klappenbroschur, 894 Seiten, 15,00 EUR, ISBN 978-3-7645-3184-3 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Irene Salzmann

Fitz-Chivalric, der Bastard des Thronfolgers über die sechs Baronien, welcher zurückgetreten und wenig später gestorben ist, dient dessen Vater, König Listenreich, als Spion und Assassine, zugleich aber auch dem neuen König-zur-Rechten Veritas, Listenreichs zweitem Sohn, der nie entsprechende Ambitionen hatte, aber die bessere Wahl ist als der dritte Sohn Edel, der keinerlei Skrupel kennt, um seinen Einfluss auszudehnen, wie Fitz mittlerweile weiß.

Aber Listenreich ist alt und krank und kann sich immer weniger um seine Aufgabe kümmern, das Land vor den Angriffen der Roten Korsaren zu verteidigen. Obwohl er vor Ort dringend benötigt wird, bricht Veritas zu einer Expedition auf, um die sogenannten Uralten zu finden und um Hilfe zu bitten, denn die Hoffnung, den Feind zu besiegen, schwindet zunehmend. Er lässt seine Gemahlin Kettricken und ihr ungeborenes Kind in Fitz’ Obhut zurück.

Fitz ist hin und her gerissen. Er fühlt sich Listenreich und Veritas verpflichtet, ebenso Kettricken und dem potentiellen Erben der Weitseher-Linie. Für sie würde er alles geben. Aber da ist auch noch Molly, die Freundin aus Kindheitstagen, die nach einigen Irrungen und Wirrungen seine Liebste wurde und dadurch wie andere Kameraden, allen voran der Stallmeister Burrich, in den Fokus seiner Gegner gerät.
Es gibt aber auch jemanden, der Fitz treu zur Seite steht, obwohl er mehrfach fortgeschickt wurde: Nachtauge, ein Wolf, der noch ein Welpe war, als Fitz ihn befreite, gesund pflegte und ihm das Jagen beibrachte, damit das erwachsene Tier sein eigenes Leben führen konnte. Nachtauge allerdings betrachtet Fitz als sein Rudel, seinen Bruder. Fitz hätte niemals geahnt, wie wichtig dieses Band, geschaffen durch alte, verfemte Magie, einmal für ihn sein würde, als Edel die letzte Zurückhaltung fallen lässt…


„Der Bruder des Wolfs“ knüpft nahtlos an den Vorgängerband „Die Gabe der Könige“ an. Zwar gibt es vor den einzelnen Kapiteln keine deutlichen Rückblenden des gealterten Fitz‘ mehr, dafür aber zeitnahe Kommentare, die auf die darin geschilderten Ereignisse einstimmen.

Robin Hobb gelingt es vortrefflich, keinen Bruch zwischen den Büchern aufkommen zu lassen und Fitz‘ Entwicklung vom Kind zum Teen und jungen Mann (im zweiten Band der „Weitseher-Chronik“ dürfte er zwischen sechzehn und zwanzig Jahre alt sein) auf natürliche Weise zu schildern. Er wird tatsächlich älter, reifer, erwachsener, ohne dass dies dauernd betont oder durch ‚Meilensteine‘ in der Handlung belegt wird, denn aufgrund seiner Aufgaben muss er früh und schnell reifen.

Freilich weiß oder ahnt man, wer von den vielen Protagonisten Freund und Feind ist, doch gibt es auch einige wild cards, die man unterschätzt und deren Einmischung zur Gunsten der einen oder anderen Seite erfolgen könnte. Weder Fitz noch sein alternder Lehrmeister Chade haben jeden von ihnen im Blick oder durchschauen alle Verräter und ihre Möglichkeiten rechtzeitig. Infolgedessen kommt es zu einem Wettlauf mit der Zeit, wer gerettet werden kann, wobei einige ihre Sicherheit opfern, um anderen zu helfen.

Nicht alle ‚Guten‘ beziehungsweise Sympathieträger schaffen es, aber auch Edels Pläne werden gestört. So endet der Roman einigermaßen rund, da er Hoffnung verheißt, weil nicht alles verloren ist. Aber es bleiben viele Fragen, auf die erst die Fortsetzung, „Der Erbe der Schatten“, ab Dezember Antworten geben kann. Also heißt es: wieder warten.

Pressestimmen sagen nicht immer viel über ein Buch aus, denn aus verkaufstechnischen Gründen werden bloß die positiven Meinungen zitiert. Wie auch immer, jeder Leser muss sich selbst ein Urteil bilden, ob er einen Roman spannend oder langweilig findet, ob ihm das Thema zusagt oder gar nicht berührt.

An der „Chronik der Weitseher“ werden all jene Spaß haben, die epische Fantasy schätzen, die ein Gleichgewicht an spannenden und kämpferischen Szenen sowie persönlichen Dramen bietet. Man darf hier an der Seite von Fitz beobachten, wie dieser erwachsen wird, immer mehr Verantwortung übernimmt, notgedrungen allein Entscheidungen trifft, Risiken eingeht und mal Niederlagen, mal Erfolge einfährt. Die Hauptfigur wird sehr einfühlsam und überzeugend beschrieben, und es spiel keine Rolle, ob man Leser oder Leserin ist, um mit ihm zu fühlen.

„Der Herr der Ringe“, „Das Name des Windes“, „Die Chronik des Eisernen Druiden“, „Riyria“ und so weiter sind Serien im gleichen Stil, und wer an diesen Gefallen fand, wird auch die „Weitseher Chroniken“ schätzen. Hat man mit der Lektüre begonnen, möchte man das Buch nicht aus der Hand legen.