Anthony Ryan: Das Erwachen des Feuers (Buch)

Anthony Ryan
Das Erwachen des Feuers
Draconis Memoria 1
(The Waking Fire, 2016)
Übersetzung: Sara Riffel & Birgit Maria Pfaffinger
Titelbild: Birgit Gitschier
Hobbit Presse, 2017, Hardcover, 724 Seiten, 25,00 EUR, ISBN 978-3-608-94974-2 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Carsten Kuhr

Die Drachen sind los - Halt! Nein, das war dann doch ein ganz anderer, austauschbarer Roman mit geflügelten Lindwürmern, gepanzerten Rittern und der holden Maid in Not. Anthony Ryan dagegen legt mit dem ersten Teil seiner neuen Trilogie eine ganz andere Mär vor.

 

Willkommen also in Mandinorien, einem Reich, das von einem ebenso korrupten wie allgewaltigen Handels-Syndikat geführt wird, das sich, man ahnt es schon, auf einen Rohstoff stürzt, den nur und ausschließlich Drachen liefern - Drachenblut nämlich. Blaue, rote, grüne und schwarze Drachen werden gnadenlos und effektiv gejagt, um an ihren Lebenssaft zu gelangen, die Drachenjagd und -zucht ist ein mehr als lukratives Geschäft.

Ein Blutgesegneter, nur einer unter Tausend Menschen, kann durch Einnahme einer der vier Varianten des Produkts, wie das Blut als rare Handelsware genannt wird (blau, rot, schwarz und grün) seine Fähigkeiten weit über das normale Maß heraus steigern. Blau ermöglicht die telepathische Kommunikation, Rot die Freisetzung von Energie auch mittels Maschinen, Schwarz steigert die Konstitution und persönlichen Kräfte und Grün verleiht dem Blutgesegneten Konzentration und an Magie grenzende Heilfähigkeiten.

Längst wurde die Haltung der Drachen und die Gewinnung des Rohstoffes durch Erntemeister industrialisiert, allein, die zahmen Drachen degenerieren und sterben durch die Käfighaltung.

Nachschub aus dem Dschungel gibt es, auch Dank der seit Jahrhunderten andauernden rastlosen Jagd nach den Lindwürmern und dem damit verbundenen Reichtum, kaum mehr. Die Rohstoffknappheit hat bereits zu stark steigenden Preisen geführt, zeitgleich wird die dampfbetriebene Industrialisierung immer weiter vorangetrieben.

Claydon Torcreek, ein schlitzohriger Dieb und unregistrierter Blutgesegneter, wird zusammen mit seinem Onkel und dessen Gefährten in die unerforschte und gefährliche Wildnis gesandt, um eine Legende aufzuspüren, an die bislang niemand glaubte - die Mär vom weißen Drachen, der einmal gefunden, die drohende Rohstoffarmut der Syndikate vielleicht wird abwenden und den Wohlstand sichern können.

Parallel dazu begleiten wir die Kompanie-Agentin Lizanne bei ihrer Geheim-Mission und den Seesoldaten Hilemore auf dessen Kampf gegen die Dampfschiffe des verfeindeten Corvantinischen Reichs und die Piraten.


Was ist das für ein Fantasy-Roman? Statt einer mittelalterlichen Welt mit höfischen Turnieren, Schwertduellen und Zauberern mit spitzen Hüten erwartet uns ein Roman, der viele Kritikpunkte thematisiert und in einer rasant ablaufenden Handlung präsentiert.

Ryan geht es neben all den Abenteuern, die er uns kredenzt, darum eine Lanze für industriell ausgebeutete hilflose Tiere zu brechen, uns ungeschönt die Mechanismen des ungezügelten, auf Profitmaximierung strebenden Marktes aufzuzeigen und daneben eine Welt zu porträtieren, die im Umbruch steckt.

Magie, eigentlich ist es eher eine doping-ähnliche Substanz, die manche Talentierte zu besonderen Leistungen befähigt, wird durch technisch-mechanische Erfindungen herausgefordert und ersetzt, es geht um Kartelle, die in ihren Denkweisen ebenso erstarrt sind, wie die rivalisierenden Militärs des Kaiserreichs, die sich gegen Neuerungen, sowohl industrieller wie intellektueller Art vehement sperren. Das ist harter Tobak insbesondere für einen Fantasy-Roman von dem Buchhandel wie viele Leser erwarten „nur“ spannend unterhalten zu werden.

Dazu kommt, dass sich der Autor nicht lange mit einer behutsamen Heranführung des Lesers an seine Welt aufhält - man wird ins kalte Wasser geschmissen, bekommt die Welt, deren Machtstrukturen und Verhältnisse erst nach und nach über die drei Protagonisten und deren Erlebnisse vermittelt.

Hier wird viel Mitarbeit vom Leser gefordert, auch weil die drei Erzähler durchaus ihre dunklen Seiten, ihre Geheimnisse und Ängste haben und recht vielschichtig gezeichnet sind.

Gleichzeitig zeichnet den Roman eine Detailversessenheit aus, die auffallend ist, den Handlungsfortlauf aber nicht stört. Streckenweise wirkt der vorzüglich übersetzte Text wie eine Dokumentation, dann wieder wie ein Expeditionstagebuch, Agenten-Thriller, Seeschlachtengemälde und Abenteuerroman. Dabei gelingt es Ryan authentisch wirkende, lebendige Bilder seiner Welt zu zeichnen, die vor dem inneren Auge des Lesers immer deutlicher Kontur annimmt.

Die Balance zwischen den Teilen aber stimmt, nie kommt Langeweile auf, nie wirkt der Plot überhastet oder überzeichnet. Einzig die Drachen als Handlungselement bleiben - noch - zu unscharf. Hier hoffe ich auf die nächsten Bände, die uns die Lindwürmer vielleicht noch ein wenig dezidierter beschreiben.

Ansonsten bleibt der Eindruck eines faszinierenden Pageturners, der weit abseits ausgetretener Pfade, inhaltlich überraschend und sprachlich überzeugend bestens zu unterhalten weiß.