Philip K. Dick: Blade Runner (Buch)

Philip K. Dick
Blade Runner
(Do Androids Dream of Electric Sheep?, 1968)
Übersetzung: von Manfred Allié
Tor, 2017, Paperback, 268 Seiten, 14,99 EUR, ISBN 978-3-596-29770-2 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Gunther Barnewald

Durch die starke Verfilmung von Ridley Scott aus den 80er Jahren wurde dieser Roman Dicks schlagartig bekannt. Völlig zu Recht, denn „Do Androids Dream of Electric Sheep?“ ist neben „Ubik“ sicherlich des Autors bester und niveauvollster Roman. Tor legt hier eine komplette Neuübersetzung vor, die fast einer Nachdichtung gleich kommt.

Zwar werden Puristen bemäkeln, dass Philip K. Dick gar nicht so gut und vor allem stilistisch brillant schreiben konnte, wie dies die Neuübersetzung von Manfred Allié suggeriert (der US-amerikanische Autor klopfte mancher Tage bis 60 Seiten in die Schreibmaschine und hatte selten die Zeit für gründliche Überarbeitungen), vom Standpunkt des Lesegenusses hebt der Übersetzer das Werk aber auf ein beachtliches neues Niveau (sieht man von einem kleinen Lapsus auf Seite 169 ab). Es macht einfach Spaß, dieses Werk mit seiner kruden Phantasie und den tollen Ideen in dieser sprachlichen Qualität zu lesen.

Auch wer den Film kennt (der durchaus andere Schwerpunkte setzt!), wird sicherlich von einigen skurrilen „Erfindungen” des Autors begeistert sein. Vor allem die Stimmungsorgeln, die immer neu programmiert werden können und den Menschen in alle möglichen gewünschten emotionalen Zustände versetzen können, sind eine Wucht. Ebenfalls toll die seltsame Religion des „Mercertums”, welche die Menschen scheinbar empathisch miteinander verbindet.


Überhaupt die ganze desolate Zukunftswelt des fiktiven Jahres 1992 (das Buch wurde 1968 veröffentlicht; der Klappentext dieser Ausgabe behauptet fälschlich, das Buch spiele im Jahre 2012, obwohl auf Seite 10 als Datum der 3. Januar 1992 genannt wird) mit dem radioaktiven Staub, der die Tierwelt fast völlig ausgerottet hat und die gesunden Menschen zur Flucht auf den Mars bewegt, bevor diese auch degenerieren oder sterben, hat einen extrem morbiden Charme.

Um die Auswanderung für die noch gesunden Menschen attraktiv zu machen, bietet man jedem die Begleitung durch einen helfenden Androiden an. Diese werden im Lauf der Jahre immer perfekter, sind irgendwann kaum noch von echten Menschen zu unterscheiden. Nur auf der Erde dürfen sie laut Gesetz nicht leben. Doch einige von ihnen haben es hierher geschafft, sind vom Mars geflohen und versuchen sich auf der Erde zu verstecken. Um dies zu unterbinden, beschäftigt die Polizei geschulte Kopfgeldjäger, die für jeden Abschuss Tausend Dollar Belohnung (in den 60er Jahren noch viel Geld!) erhalten.

Einer dieser Androidenjäger ist Rick Deckard, der davon träumt, endlich ein echtes Tier zu besitzen statt seines elektrischen Schafes, denn der Besitz eines echten Lebewesens bringt enormes gesellschaftliches Prestige mit sich.


Nie wird wirklich klar, ob Deckard dieses Prestige für sich selbst oder für seine seltsam indifferente Frau namens Iran wünscht, die oft absichtlich die Stimmungsorgel auf Depression stellt, um sich selbst zu geißeln und die dann im Selbstmitleid zu versinken droht.

Höhepunkt der Geschichte ist wohl jene Szene, in der Deckard entdeckt, dass außer seinem eigenen Polizeirevier noch ein zweites, ihm bis dato völlig unbekanntes in seiner Stadt existiert. Leidet Deckard unter einer Psychose? Oder ist er selbst nur ein Android, dem falsche Erinnerungen „implantiert” wurden? Oder ist dies ein Trick, um den Kopfgeldjäger abzulenken und mürbe zu machen?

Wie so oft spielt Dick virtuos mit den Realitätsebenen und der Leser muss sich immer wieder fragen, was ist Fake, was Wirklichkeit (eine wieder einmal sehr aktuelle Frage heutzutage!). Ganz wild wird dies gegen Ende, als sich die Frage stellt, ob die neue Religion des Mercertums nun wirklich ein Schwindel ist oder tatsächlich übernatürliche empathische Kräfte freisetzt, die zu Erlösung, Befreiung und Verzeihen führen können, so wie es Deckard widerfährt.

Ein auch heute noch nicht nur aktuelles, sondern immer noch faszinierendes Werk, welches trotz aller Ansprüche und Ideen zudem einen hohen Unterhaltungsfaktor besitzt.

Die Neuübersetzung hat sich ebenfalls gelohnt, auch wenn einige Fans des Autors sicherlich Dicks kargen, sprachlich einfach strukturierten Stil vermissen werden. In punkto Lesevergnügen ist diese Version sicherlich kein „Kippel” (um es mit Philip K. Dick auszudrücken) und wohl allen anderen bisherigen deutschen Ausgaben vorzuziehen (auch wenn keine 100%ige Werktreue gegeben ist, denn, wie schon vorher erwähnt, so gewandt konnte Dick selbst gar nicht formulieren, wie dies Allié hier für ihn unternimmt!).